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Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote

Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote

Titel: Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Hinter dem Roten Schiff lag wie dessen widernatürlicher Schatten und dreimal so groß ein weißes Schiff. Geister oder Entfremdete schritten über sein Deck. Ich spürte kein Leben von ihnen, und doch waren sie eifrig damit beschäftigt, ein kleines Beiboot zu Wasser zu lassen. Auf dem Achterdeck stand ein Mann. Sobald ich ihn erblickt hatte, konnte ich den Blick nicht mehr von ihm losreißen.
    Er war in Grau gekleidet, doch ich sah ihn vor dem dunklen Hintergrund so deutlich, als würde er von einer Laterne angestrahlt. Ich schwöre, ich konnte seine Augen sehen, den scharfen Grat seiner Nase, den dunklen, lockigen Bart, der seinen Mund umrahmte. Er lachte mir zu. »Hier ist einer zu uns gekommen!«, rief er einem Unsichtbaren zu und hob eine Hand. Sein ausgestreckter Zeigefinger deutete auf mich, und er lachte wieder, und ich fühlte, wie sich mir das Herz in der Brust zusammenkrampfte. Es war, als blickte er nur mich an, als hätte er nur mich allein von unserer gesamten Mannschaft zum Opfer auserwählt. Und ich schaute ihn an, ja, meine Augen sahen ihn, aber ich konnte ihn nicht spüren. Dort! Dort! schrie ich laut, oder vielleicht war es nur die Gabe, die das Wort wie ein Echo durch meinen Schädel hallen ließ. Keine Antwort. Kein Veritas. Kein Nachtauge. Niemand. Nichts. Ich war allein. Die ganze Welt wurde zu einem Ort der Stille. Meine Gefährten, ihr Grauen, ihr Entsetzen - für mich nicht mehr vorhanden. Nichts war mehr vorhanden. Keine Möwe, kein Fisch im Meer, kein Leben irgendwo, so weit meine inneren Sinne reichten. Die verhüllte Gestalt auf dem weißen Schiff beugte sich weit über die Reling, wies weiter mit dem an klagenden Finger auf mich und - lachte. Ich war allein, gefangen in der Einsamkeit, die über das menschliche Vorstellungsvermögen hinausging, die sich als übermächtige Kraft über mich senkte, mich fesselte, lähmte, erstickte.
    Ich stemmte mich mit allen meinen Sinnen dagegen.
    Instinktiv gebrauchte ich die Macht der Gabe, um mich von dieser Kraft so heftig abzustoßen, wie ich nur konnte. Dennoch war ich derjenige, dessen Körper von jener Kraft nach hinten geschleudert wurde und in einer Bilge zwischen den Sitzbänken und den Füßen der anderen Ruderer landete. Ich sah aber auch den unheimlichen Fremden auf dem weißen Schiff taumeln, schwanken und dann über die Reling fallen. Aber ich konnte weder erkennen, ob er wieder auftauchte, noch ob er gerettet wurde.
    Ich hatte auch keine Zeit, mich darum zu kümmern. Die Roten Korsaren rammten uns mittschiffs. Ruder zersplitterten, die Männer stürzten schreiend übereinander. Und während die Outislander von ihrem Schiff auf unseres sprangen, johlten sie siegesgewiss und verhöhnten uns mit ihrem Gelächter. Ich raffte mich schnell wieder auf, hechtete zu meiner Bank und griff nach der Axt. Um mich herum befreiten sich auch die anderen von ihrer Erstarrung und stellten sich dem Feind. Wir waren nicht klar zum Gefecht, aber auch nicht mehr gebannt vor Angst. Blanker Stahl begegnete den Enternden, und der Kampf begann.
    Kein Ort auf der Welt ist so finster wie das offene Meer bei Nacht. Es ist fast unmöglich, Freund und Feind zu unterscheiden. Ein Mann prallte gegen mich, ich krallte die Finger in das Leder seiner fremdartigen Rüstung, rang ihn nieder und erwürgte ihn. Nach dem kurzen Augenblick der plötzlichen Empfindungslosigkeit, den ich erlebt hatte, bereitete es mir eine grausame Befriedigung, nun zu fühlen, wie sein Entsetzen gegen meine Sinne brandete. Ich glaube, alles ging sehr schnell. Als ich mich aufrichtete, war das feindliche Schiff im Begriff, sich von uns zu lösen. Nur die Hälfte der Ruder war besetzt, und auf unserem Deck wurde noch immer gekämpft, aber der Befehlshaber ergriff die Flucht und überließ seine Männer ihrem Schicksal. Unser Kapitän schrie, wir sollten sie erschlagen und die Verfolgung des Roten Korsaren aufnehmen, doch bis wir die letzten Gegner getötet und die Leichen über Bord geworfen hatten, war das feindliche Schiff bereits in der Dunkelheit verschwunden. Justin war mit dem Leben davongekommen, jedoch übel zugerichtet und vorerst nicht in der Lage, mit Serene Verbindung aufzunehmen. Ohnehin bestand eine Ruderreihe nur noch aus zersplitterten Trümmern. Der Kapitän trieb uns mit wüsten Flüchen an, neue Ruder zu verteilen und auszubringen, doch zu einer Verfolgung war es zu spät. Auf sein Kommando hörten wir auf zu sprechen und wagten kaum zu atmen, doch wir sahen und hörten

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