Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
nichts. Ich stellte mich auf meine Seekiste und drehte mich langsam einmal um die eigene Achse. Eine leere schwarze Wasserfläche erstreckte sich nach allen Richtungen. Von dem feindlichen Schiff keine Spur, doch etwas anderes versetzte mich noch mehr in Erstaunen. »Das weiße Schiff hat vor Anker gelegen, aber es ist auch nicht mehr da.«
Alle Köpfe wandten sich mir zu. »Ein weißes Schiff?«
»Geht es dir gut, Fitz?«
»Ein Rotes Schiff, Junge, es war ein Rotes Schiff, das uns angegriffen hat.«
»Sprich nicht von einem weißen Schiff. Ein weißes Schiff zu sehen bedeutet den Tod. Es bringt Unglück.« Nonge zischte es mir zu. Ich machte den Mund auf, um einzuwenden, ich hätte ein wirkliches Schiff gesehen und kein Omen irgendeiner Katastrophe. Er schüttelte warnend den Kopf, wandte sich ab und starrte aufs schwarze Meer hinaus. Ich machte den Mund zu und setzte mich nachdenklich wieder hin. Kein anderer hatte es gesehen. Keiner sprach von der entsetzlichen Angst, die uns ergriffen und willenlos gemacht hatte. Die Geschichte, die nach unserer Rückkehr in den Wirtshäusern die Runde machte, berichtete nur von einem Gefecht mit einem Roten Schiff, das die Flucht ergriff, als es unsere Überlegenheit erkannte. Keinerlei Beweise blieben von diesem Vorfall zurück, außer einigen gesplitterten Rudern, ein paar Blessuren und dem Blut auf den Decksplanken.
Als ich mit Veritas und Nachtauge Rücksprache hielt, hatte keiner von beiden etwas gesehen. Veritas erzählte mir davon, wie ich ihn ausgeschlossen hätte, sobald wir das feindliche Schiff sichteten. Nachtauge gab nur widerwillig zu, dass auch er mich nicht mehr hatte erreichen können. Nonge ließ sich nicht bewegen, mir Genaueres über die geheimnisvollen weiße Schiffe zu erzählen, doch er war ohnehin ein wortkarger Geselle. Später stieß ich in einer Aufzeichnung alter Märchen und Sagen auf eine kurze Erwähnung des Phänomens. Dort war es ein Geisterschiff, auf dem die Seelen ertrunkener Seeleute, die das Meer nicht haben wollte, bis in alle Ewigkeit unter einem unbarmherzigen Kapitän ihre Sünden abbüßen mussten. Es wurde mir aber klar, dass ich besser nicht mehr davon sprach, wenn ich nicht für verrückt gehalten werden wollte.
Während der restlichen Sommermonate wichen die feindlichen Schiffe der Rurisk aus. Wenn wir eines sichteten, nahmen wir die Verfolgung auf, doch gelang es uns nicht noch ein mal, ein feindliches Schiff aufzubringen. Einmal traf es sich, dass wir einem der Korsarenschiffe nachsetzen konnten, das gerade einen Raubzug begangen hatte. Er warf seine Gefangenen als Ballast über Bord und floh. Von zwölf Personen retteten wir neun aus dem Wasser und brachten sie unversehrt in ihr Dorf zurück. Die drei, die ertranken, bevor wir sie er reichen konnten, wurden betrauert, doch alle waren der Meinung, ein solches Schicksal sei der Entfremdung vorzuziehen.
Den anderen Schiffen erging es im Großen und Ganzen ebenso wie uns. Die Constance überraschte Piraten, die gerade ein Dorf brandschatzen wollten. Die Unseren errangen keinen schnellen Sieg, waren aber so klug, das am Ufer liegende Rote Schiff leckzuschlagen, so dass den Piraten die Möglichkeit zur Flucht genommen war. Es nahm Tage in An spruch, sie aufzuspüren und zu töten, denn als sie sahen, was mit ihrem Schiff geschehen, war, hatten sie sich in den Wäldern versteckt und verteilt. So ging es weiter. Wir verfolgten feindliche Schiffe, störten die Korsaren bei Überfällen, doch wir hatten nicht das Glück, unsere kleine Flotte auf Kosten des Gegners noch weiter zu vergrößern.
Als Erfolg konnten wir uns zuschreiben, dass es weniger Entfremdungen gab. Doch trotz allem schien die Anzahl derer, die unsere Küsten unsicher machten, nicht geringer zu werden. In einer Hinsicht brachten wir der Bevölkerung der Sechs Provinzen Hoffnung. In anderer Hinsicht schürten wir ihre Verzweiflung, denn was wir auch taten, es gelang uns nicht, der Bedrohung ein für alle Mal ein Ende zu machen.
Für mich war der lange Sommer zugleich eine Zeit quälender Isolation als auch unglaublicher Nähe. Veritas war oft bei mir, doch es stellte sich heraus, dass es mir nicht gelang, während einer bewaffneten Konfrontation den Kontakt mit ihm aufrecht zu erhalten. Allerdings bekam er einen Eindruck von dem Abgrund der Gefühle, der mich jedes Mal zu überwältigen drohte, wenn unsere Besatzung in einen Kampf verwickelt wurde. Seine Vermutung ging dahin, dass ich, um mich vor den Gedanken und
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