Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
legten ab Fleisch und Stein, ließen die Waffen fallen und erhoben sich auf Schwingen aus Licht. Die Uralten.
Als der König mich endlich rufen ließ, ging ich zu ihm. Getreu dem mir selbst gegebenen Versprechen, hatte ich ihn seit jenem Nachmittag nicht mehr aufgesucht. Der Groll über seine Absprache mit Herzog Brawndy, Zelerita und mich betreffend, nagte immer noch an mir. Doch einem Ruf des Königs musste Folge geleistet werden, ob man sich nun darüber freute oder sich dagegen sträubte.
Es war an einem Herbstmorgen, an dem er nach mir schickte. Es war über zwei lange Monate her, dass ich das letzte Mal vor ihm gestanden hatte. Ich hatte die betrübten Blicke des Narren ignoriert, die er mir zuwarf, wenn wir uns begegneten, und auf Veritas’ gelegentliche Frage, weshalb ich meine Besuche bei seinem Vater eingestellt hatte, hatte ich ausweichend geantwortet. Begründungen boten sich an. Nach wie vor hütete Wallace die Tür zu des Königs Gemächern wie ein Drache, und die angegriffene Gesundheit des Königs war längst kein Geheimnis mehr. Vor dem Mittag wurden keine Besucher mehr vorgelassen. Deshalb musste dieser frühe Ruf eine besondere Bedeutung haben.
Ich war davon ausgegangen, dass dieser Morgen mir gehören würde. Der Herbst hatte ungewöhnlich früh mit einem zwei Tage währenden Sturm seinen Einstand gegeben. Der Wind fegte in heftigen Böen über uns hinweg und prasselnder Regen sorgte dafür, dass jeder in einem offenen Boot vollauf mit Schöpfen beschäftigt sein würde. Ich hatte den Abend zuvor mit der übrigen Besatzung der Rurisk in einem Wirtshaus verbracht, auf den ersten Herbststurm angestoßen und den Roten Schiffen entsprechend Mast- und Schonbruch gewünscht. In der Burg war ich dann ziemlich angeheitert und mit der Überzeugung in mein Bett gefallen, nach Belieben ausschlafen zu können. Doch ein pflichtbewusster Page hatte irgendwann später so lange an die Tür gehämmert, bis ich es beim besten Willen nicht mehr überhören konnte, worauf er mir dann den Befehl des Königs ausgerichtet hat.
So musste ich mich schnell waschen, rasieren, kämmen und frische Kleider anziehen. Ich war fest entschlossen, mir nichts von meinem anhaltenden Groll anmerken zu lassen, und so verließ ich mein Zimmer erst, als ich das Gefühl hatte, Herr meiner selbst zu sein. Ausnahmsweise öffnete Wallace prompt auf ein Klopfen und ließ mich, wenn auch mit ungnädiger Miene, ohne das übliche Geplänkel eintreten.
Listenreich saß in einem gepolsterten Sessel vor seinem Kamin. Trotz allem tat es mir weh zu sehen, wie hinfällig er geworden war. Seine Haut war dünn und durchscheinend wie Pergament, seine Finger waren zu fleischlosen Vogelkrallen abgemagert. Sein Gesicht war mager und schlaff und die Augen tief in die Höhlen gesunken. Er hielt die Hände auf eine Art im Schoß gefaltet, die ich gut kannte. Auf genau dieselbe Weise verschränkte ich die Finger, um das Zittern zu verbergen, das mich auch jetzt noch gelegentlich überkam. Auf einem Tisch neben ihm stand ein Räuchergefäß, in dem Rauchkraut schwelte. Der Qualm hing bereits als wabernder bläulicher Schleier unter den Deckenbalken. Zu Füßen seines Herrn kauerte mit tieftrauriger Miene der Narr.
»FitzChivalric ist hier, Euer Majestät«, meldete Wallace mich an.
Der König fuhr zusammen, dann richtete er den Blick auf mich. Ich trat vor ihn.
»FitzChivalric«, sagte er, wie um das Gesicht vor ihm mit meinem Namen in Zusammenhang zu bringen. Hinter seinen Worten war kein Wille und kein Nachdruck. Gleichzeitig blieb meine Bitterkeit, gleichwohl sie das Mitleid, das ich empfand, nicht auszulöschen vermochte. Er war immer noch mein König.
»Majestät, ich bin gekommen, wie Ihr Befohlen habt.« Ich hielt mich an der Förmlichkeit fest.
Er betrachtete mich aus trüben Augen, wandte den Kopf zur Seite und hustete. »Ich sehe, ich sehe. Gut.« Sein Blick kehrte zu mir zurück; er atmete tief ein, doch die Luft drang nur sehr mühselig bis zu seiner Lunge. »Gestern Abend ist ein Kurier von Herzog Brawndy von Bearns eingetroffen. Er brachte den Erntebericht und so weiter, hauptsächlich Nachrichten für Edel. Doch Brawndys Tochter Zelerita schickte gleichzeitig diese Schriftrolle mit. Sie ist für dich.«
Er streckte sie mir hin. Es war eine kleine Pergamentrolle, mit einem gelben Band zugebunden und verschlossen mit einem Siegel aus grünem Wachs. Zögernd trat ich vor, um die Rolle an mich zu nehmen.
»Brawndys Kurier reitet heute
Weitere Kostenlose Bücher