Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
vorgelesen. Die alte Landkarte wurde genauestens studiert. Anfangs beschränkte Listenreich sich darauf, Fragen zu stellen, und enthielt sich jeglicher Kommentare, bis er Sicher sein konnte, alle Informationen erhalten zu haben. Der Narr stand neben ihm und vertrieb sich die Zeit da mit, Veritas’ Pagen schaurige Grimassen zu schneiden, um dem wie versteinerten Knaben wenigstens ein Lächeln abzuringen. Er dürfte dem Ärmsten allerdings noch mehr Angst eingejagt haben. Rosemarie vergaß, wo sie sich befand, und wanderte davon, um mit den Quasten der Bettvorhänge zu spielen.
Nachdem Veritas zu Ende gesprochen und Kettricken erklärende Bemerkungen zu seinem Vortrag abgegeben hatte, lehnte der König sich zurück. Er trank den letzten Schluck aus seinem Glas und hielt es dem Narren zum Nachschenken hin. Gedankenvoll nippte er ein mal daran, seufzte dann auf und schüttelte den Kopf. »Nein. An dieser Geschichte ist zu viel Unwägbares, als dass ich geneigt bin, dir meine Zustimmung zu geben. Was du mir aber gezeigt hast, genügt zumindest, um mich zu der Überzeugung zu bringen, es könnte sich lohnen, einen Gesandten dorthin zu schicken. Einen Mann deiner Wahl, mit angemessenem Gefolge, Geschenken und Briefen von dir und mir, um zu betonen, dass er in unserem Auftrag spricht. Aber du selbst, der Kronprinz, als Abgesandter? Nein. Wir verfügen zurzeit nicht über die Mittel. Edel ist heute schon bei mir gewesen, um mir die Kostenaufstellung für den Bau der neuen Schiffe und für die Neubefestigung der Türme auf der Geweihinsel vorzulegen. Die Staats asse ist betrüblich leer. Und es würde aussehen wie Flucht, wenn du in einer Zeit wie dieser Bocksburg verlässt.«
»Ich ergreife nicht die Flucht. Ich breche zu einer Forschungsreise auf. Einer Reise, die zum Ziel hat, unser Volk endgültig aus der Gefahr zu erretten. Zudem lasse ich meine Kronprinzessin zurück, als meine Stellvertreterin, während ich fort bin. Ich hatte auch keineswegs eine Karawane mit Musikanten, Köchen und bestickten Zelten im Sinn. Wir reisen auf schneebedeckten Pfaden in das Herz des Winters. Dabei gilt: nicht mehr Auf wand als nötig, wie bei einem militärischen Unternehmen. So habe ich es stets gehalten.«
»Und du nimmst an, das würde die Uralten beeindrucken? Vorausgesetzt, du findest sie. Vorausgesetzt, sie haben je existiert.«
»Die Sage berichtet, dass König Weise selbst zu ihnen ging. Und ja, ich glaube, die Uralten haben existiert, und er hat sie gefunden. Was können wir verlieren? Wenn ich scheitere, werde ich zurückkehren, um wieder meine Pflichten auf mich zu nehmen. Doch wenn ich erfolgreich bin, gewinne ich für uns einen mächtigen Bundesgenossen.«
»Und wenn du dabei umkommst?«, fragte Listenreich bedeutungsvoll.
Veritas öffnete den Mund, um zu antworten, doch bevor er etwas sagen konnte, wurde die Tür aufgerissen, und Edel stürmte herein. Sein Gesicht war hochrot. »Was geht hier vor? Wes halb bin ich nicht von dieser Beratung unterrichtet worden?« Er warf mir einen tückischen Blick zu. Hinter ihm lugte Wallace um den Türpfosten herum.
Veritas gestattete sich ein ironisches Lächeln. »Wenn deine Spione dich nicht informiert haben, welchem Umstand haben wir dann deine Anwesenheit zu verdanken? Ihnen musst du Vorwürfe machen, dass sie zu träge waren.« Wallaces Kopf verschwand ruckartig.
»Herr Vater, ich bestehe darauf zu erfahren, was hier vor geht!« Es fehlte nicht viel, und Edel hätte mit dem Fuß auf den Boden aufgestampft. Hinter Listenreichs Rücken ahmte der Narr sein erregtes Mienenspiel nach und erreichte endlich sein Ziel, den Pagen zum Lächeln zu bringen, doch gleich danach erschrak der Knabe wiederum über die Ungehörigkeit seines Tuns und machte erneut ein ernstes Gesicht.
Statt an Edel wandte König Listenreich sich an Veritas. »Gibt es einen Grund, weshalb du Edel bei diesem Gespräch nicht dabeihaben wolltest?«
»Ich war der Ansicht, es ginge ihn nichts an.« Er presste kurz die Lippen zusammen. »Und ich wollte sichergehen, dass die Entscheidung, die getroffen wird, ausschließlich die Eure ist.« Das war Veritas, der wie immer seinem Namen entsprach.
Edel schwoll sichtlich der Kamm, seine zusammengekniffenen Nasenflügel wurden weiß, doch Listenreich gebot ihm mit der erhobenen Hand zu schweigen. Wieder sprach er nur zu Veritas. »Ginge ihn nichts an? Doch wer wird die Regentschaft ausüben, während du fort bist?«
Veritas’ Miene erstarrte zu Eis. »Meine
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