Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
Wasser.«
Wo bist du? Ein anderer antwortete mir.
Wo du mich nicht erreichen kannst, mein Freund. Wie geht es dir?
Gut. Aber ich habe dich vermisst. Du hast so tief geschlafen, dass ich glaubte, du wärst tot.
Viel fehlte nicht, jene Nacht. Hast du sie zu den Pferden geführt?
Ja. Und sie sind fortgeritten. Rudelherz hat ihnen gesagt, ich wäre ein Mischling, den du gezähmt hast. Sie glauben jetzt, ich bin ein Hund, der Kunststücke macht.
Er wollte mich damit schützen, nicht dich kränken. Weshalb ist das Herz des Rudels nicht mit ihnen gegangen?
Ich weiß es nicht. Was tun wir jetzt?
Warten.
»Wache!«, rief ich wieder, lauter diesmal.
»Geh von der Tür weg.« Der Mann musste genau vor meiner Zelle stehen. Ich war so von der Unterhaltung mit Nachtauge in Anspruch genommen gewesen, dass ich ihn nicht kommen gehört hatte. Mit mir war es zurzeit wirklich nicht weit her.
Eine kleine Klappe am Fuß der Tür ging auf, eine Kanne Wasser und ein halber Laib Brot wurden hindurchgeschoben. Dann schlug sie wieder zu.
»Vielen Dank.«
Keine Antwort. Ich hob die Kanne und das Brot auf und untersuchte beides. Das Wasser roch abgestanden, aber auch als ich vorsichtig einen Schluck probierte, wies nichts da rauf hin, dass es vergiftet sein könnte. Das Brot brach ich in Stücke und suchte nach Klumpen im Teig oder irgendwelchen Verfärbungen. Es war nicht frisch, aber davon abgesehen, soweit ich feststellen konnte, einwandfrei. Jemand hatte die andere Hälfte gegessen. Ich zögerte nicht länger, meine Hälfte zu verzehren, und trank das Wasser dazu. Halbwegs gesättigt streckte ich mich wieder auf meiner Steinbank aus und versuchte, die am wenigsten unbequeme Lage zu finden.
Die Zelle war trocken, aber kalt, wie jeder ungenutzte Raum in Bocksburg während des Winters kalt war. Ich hatte eine genaue Vorstellung davon, wo ich mich befand. Der Kerker lag nicht weit entfernt von den Wein kellern. Hier konnte man sich die Lunge aus dem Hals schreien und keine Menschenseele, außer vielleicht den Wachen, hörte es. Als Junge war ich hier unten herumgestromert. Ich hatte nur selten eine der Zellen besetzt gefunden und noch seltener jemanden, der davor Wache hielt. Dank Bocksburgs schneller Rechtsprechung gab es kaum jemals Grund, einen Gefangenen länger als ein paar Stunden festzuhalten. Gesetzesüberschreitungen wurden gewöhnlich mit dem Tod geahndet, oder man musste die Tat mit seiner Hände Arbeit abbüßen. Ich nahm an, dass es unter Edels Herrschaft hier unten lebhafter zugehen würde.
Ich versuchte zu schlafen, aber die Flucht ins Vergessen blieb mir verwehrt. Also rutschte ich auf der harten Unterlage herum und dachte nach. Eine Zeitlang versuchte ich mir einzureden, ich hätte gewonnen, weil der Königin offenbar die Flucht gelungen war. Gewinnen hieß doch, dass man Bekam, was man wollte, oder nicht? Bevor ich übermütig werden konnte, stieg in mir die unangenehme Erinnerung auf, wie schnell König Listenreich gestorben war. Von einem Augenblick zum anderen. Wenn sie mich hängten, ob es auch bei mir so schnell ging? Oder würde ich mich langsam strangulieren und dabei in langen Zuckungen am Seil baumeln? Um mich von diesen Gedanken abzulenken, beschäftigte ich mich damit, ob es wohl erst einen Bürgerkrieg geben würde, bis Veritas die Sechs Provinzen wieder mit Berechtigung als die Sechs Provinzen in eine Karte eintragen konnte. Selbstverständlich vorausgesetzt, dass Veritas zurückkehrte und es ihm gelang, die Küste von den Roten Schiffen zu Befreien. Wenn Edel Bocksburg den Rücken kehrte, woran ich keinen Zweifel hatte, wer mochte dann Ansprüche darauf erheben? Philia hatte gesagt, die Küstenherzöge wären mit Lord Vigilant nicht einverstanden gewesen. Von den kleineren Adligen aus Bocksland war keiner so kühn, sich selbst zum Verweser der Königsburg zu erheben. Vielleicht streckte einer der Küstenherzöge die Hand da nach aus. Doch nein, keiner von ihnen war in diesen Zeiten stark genug, sich noch eine zusätzliche Verantwortung aufzubürden. Jeder war jetzt auf sich allein gestellt. Außer, Edel blieb in Bocksburg. Nach Listenreichs Tod und Kettrickens Verschwinden war er der rechtmäßige König, daran vermochten auch die wenigen nichts zu ändern, die wussten, dass Veritas lebte. Würden die Küstenherzöge Edel als Herrscher akzeptieren? Und würden sie Veritas als Herrscher akzeptieren, falls er zurückkehrte? Oder sich von dem Mann abwenden, der sie verlassen hatte, um einem
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