Five Stars 02 - Wildes Verlangen
danach schaute, hob Ketut ihn auf und legte ihn auf den Tisch. »Ihr habt einen weisen Satz in eurem heiligen Buch.« Seine Stimme klang genauso feierlich wie vorgestern, als er mir das Ritual der Totenverbrennung erklärte. Mir schien das schon eine Ewigkeit her zu sein. Als ich schwieg, fuhr er fort: »Dieser Satz lautet: Alles hat seine Zeit . Denk mal darüber nach, Violetta. Alles hat seine Zeit! Man kann den Lauf der Dinge nicht immer bestimmen, manchmal muss man akzeptieren, was kommt.«
Ich trank noch einen kleinen Schluck, ehe ich die entscheidende Frage stellte. »Wisst Ihr, wo Daniel ist?«
Die beiden schüttelten synchron den Kopf, aber nur Madé antwortete. »Nein. Er stand heute Morgen plötzlich vor mir und überreichte mir den Brief. Er müsse gehen, sagte er. Mehr nicht.«
»Hast du ihn gefahren, Ketut?«
Der alte Mann verneinte. »Er ist vorgestern mit einem Mietwagen gekommen und den hat er auch heute benutzt. Ich weiß wirklich nicht wohin.«
Ich nahm den Brief und sagte mit gesenktem Kopf. »Lasst mich bitte zehn Minuten allein. Danach muss auch ich gehen. Fährst du mich bitte in mein Hotel, Ketut?«
»Selbstverständlich«, antwortete er und Madé ergänzte: »Und ich packe derweil deine Sachen.«
Geräuschlos verschwanden die beiden Menschen, deren Nähe mir schon Sekunden später fehlte. Ich las den Brief erneut, diesmal ohne Tränen, die versiegt zu sein schienen. Ich verstand die Worte, aber nicht den Sinn. Was meinte Daniel mit den Veränderungen, die es in seinem Leben geben würde? Und warum sollte ich dabei keine Rolle spielen, wenn er mich doch liebte? War das etwa gelogen, war ich nur seine Gespielin gewesen für eine gewisse Zeit, der er mit seinem Wissen und seinem weltmännischen Gehabe imponieren konnte. Vermutlich begann ich blasse, dumme Gans ihn jetzt zu langweilen und so legte er mich ab wie ein abgetragenes Kleidungsstück. »Was für ein Arsch«, sagte ich laut und meine eigenen Worte gaben mir einen Stich. Etwas in mir wollte nicht akzeptieren, dass alles, was Daniel in den letzten Monaten gesagt und getan hatte, nur Show war, um mich zu beeindrucken. Ich faltete den Brief zusammen und steckte ihn zurück in den Umschlag. Einen Moment überlegte ich, ihn zu verbrennen, steckte ihn dann aber doch in die Gesäßtasche meiner Hose.
Sechs
Zwei Stunden später stoppte Ketut den Wagen vor dem Hoteleingang, der fast von zwei Übertragungswagen eines lokalen Fernsehsenders blockiert wurde. TV66 hatte die Technik für die Liveübertragungen vor Ort gemietet und die balinesischen Techniker verlegten Kabel und montierten Satellitenschüsseln auf den Dächern. Es sah aus, als würde in Kürze ein Staatsgast in diesem Hotel erwartet. Nachdem ich mich von Ketut mit einer herzlichen Umarmung verabschiedet hatte, marschierte ich schnurstracks durch die Hotelhalle zu meiner Strandvilla. Ich warf mich aufs Bett und ließ den Tränen freien Lauf. Mehrfach hatte ich während der Fahrt nur mühsam die Beherrschung bewahren können. Ich konnte es einfach nicht fassen, wie Daniel mich behandelte. Was war sein Gerede von Liebe und Zuneigung Wert, wenn er mir keine vernünftige Erklärung lieferte, warum er mich von einer Sekunde auf die andere verließ. Und das nach diesen zwei Tagen, in denen er mir eine (ganz neue?) Welt gezeigt hatte, seine Welt. Und jetzt sollte ich Knall auf Fall nicht mehr dazugehören. Er schloss mich aus seinem Leben aus, verschwand einfach auf Nimmerwiedersehen. Das war nicht fair, nein, das war wirklich nicht fair. Ich trommelte mit den Fäusten aufs Bett und heulte dabei wie ein Schlosshund. Als der Strom der Tränen endlich versiegte, zog ich den Brief aus der Hosentasche. Es hatte keinen Sinn, ihn noch einmal zu lesen. Ich kannte ihn längst auswendig und verstand ihn dennoch nicht. Vielleicht sollte ich ihn tatsächlich verbrennen, sonst erinnerte er mich jeden Tag an die Schmach, eine fallengelassene Geliebte zu sein, derer ihr Galan überdrüssig geworden war. Wieso fielen mir auf einmal so altmodische Begriffe ein? Galan! Das gehörte normalerweise nicht zu meinem Wortschatz. Ich sollte aufpassen, mich nicht zu sehr zu verlieren. Daniel war ein …. . Ja was eigentlich. Ein aufgeblasener, selbstverliebter Idiot, der es liebte mit jungen Frauen zu spielen! Jawohl! Ich schniefte und warf den Brief zur Bestätigung mit Wucht aufs Bett. Er konnte mir gestohlen bleiben! Ich stand auf und nahm den Brief. Verbrennen ist das Beste. Aus den Augen, aus dem
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