Fix und forty: Roman (German Edition)
Die Gabe war offensichtlich etwas, das sie selbst geschenkt bekommen hatte, bevor sie es an mich weiterreichte, denn ich war acht und der Gegenstand eindeutig für eine ältere Frau gedacht.
»Was ist das?«, hauchte ich ehrfürchtig, als ich nach der Kirche mein Geschenk zu Hause auspackte.
»Ich weiß es auch nicht genau«, sagte meine Mutter, »aber ich glaube, du bist ein bisschen zu jung dafür.«
Es war ein bestickter blassblauer Seidenumschlag für Feinstrumpfhosen, der mit hellerem Satin gepolstert und mit Schleifen versehen war, höchst elegant. Mit acht Jahren besaß ich keine Feinstrumpfhosen. Das blassblaue Objekt erfüllte keinen echten Zweck; man hätte die Feinstrumpfhose genauso gut in einen Unterrock wickeln können. Doch der Beutel war ebenso schön wie frivol. Zu Recht ahnte ich, dass dieses Objekt das Gegenteil der mennonitischen Kultur darstellte. Wir wussten nicht einmal, wie man so etwas nannte. Das hellblaue Ding befand sich außerhalb unseres Daseins. Der blass bestickte Umschlag stand für Junge-Damenhaftigkeit, und ich stellte mir eine Zeit vor, in der ich weiße Handschuhe tragen und Tee trinken und den Saum meiner Strümpfe richten würde. (Da Mennoniten so weltfremd waren, wusste ich nicht, dass junge Damen die Insignien der Weiblichkeit, wie sie im Buche standen, längst über Bord geworfen hatten.)
Ich liebte das seidene Ding von ganzem Herzen und aus tiefster Seele. Meine Mutter war der Meinung, wir sollten es für später aufheben, wenn ich älter war, aber ich bettelte so sehr darum, es behalten zu dürfen, dass sie schließlich nachgab. Ich bewahrte ein einzelnes Baumwolltaschentuch darin auf, das mit winzigen Fliederblüten übersät war. Eine meiner Tanten hatte es mir geschickt, vielleicht, weil sie annahm, dass die Kinder meiner Generation immer noch gestärkte Taschentücher in ihrer Schürze trugen. Im selben Jahr schenkte mir Lola zum Geburtstag eine Flasche Talkumpuder, das nach Lavendel duftete. Ihre mennonitischen Eltern waren etwas liberaler als meine und hatten nichts gegen solche weltlichen Geschenke. Jeden Montagabend bestäubte ich das Taschentuch mit dem geheimen Puder. Es war ein entrücktes Schönheitsritual. Ich wusste nicht genau, was feine Damen mit geblümten Taschentüchern machten, also löste ich meine Zöpfe, kämmte mir langsam und anmutig das Haar, und tupfte mir dann mit dem duftenden Taschentuch über die Braue. »Wie aufmerksam von Ihnen«, flüsterte ich in den Spiegel, und: »Mir ist so schwindelig!« Dann legte ich das Taschentuch zurück in den blassblauen Beutel, wo es duftend bis zum nächsten Montagabend liegen blieb.
Seither hat mich der Duft von Lavendel immer an das schöne bestickte blassblaue Ding erinnert, in dem ich einst die unausgereiften Sehnsüchte meiner Jugend verstaute. Das nach Lavendel duftende Taschentuch war mein heimliches Versprechen, eines Tages weltgewandt zu sein: zu seufzen, die Quadrille zu tanzen und Spitzenunterwäsche zu tragen. Unter der geheimnisvollen Satinlasche war gerade genug Platz, um all das zu verstauen, wonach ich mich sehnte, wofür ich aber noch keine Worte hatte.
Bald raschelte der Bambus in der Frühlingsbrise, und während ich meine Schellen schwenkte, zog ich mir den Pullover enger um die Schultern. Meinen Augen wurden feucht, als ich über diese Menschen nachdachte und sie dabei beobachtete, wie sie rasselten und schunkelten und sangen. Ohne meinen Mann war ich irgendwie zu meinem Ursprung zurückgetrieben worden. Es schien, als wäre meine turbulente Ehe wie eine lange Reise durch dunkle Wasser gewesen, die mich von allem fortgerissen hatte, was vertraut und sicher war. Plötzlich hatte ich das Gefühl, eine lange Strecke geschwommen zu sein und nun endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Erleichtert konnte ich aufatmen: Geschafft, Land in Sicht, ab hier waren Haie unwahrscheinlich. Die Rentner sangen und lächelten und fröstelten in der vom Duft des Lavendels geschwängerten Brise. Die Harmonie, die über dem abkühlenden Abend lag, war wie ein Gebet, und die Musik war so sanft wie eine Hand, die mich von hinten anschob – dem Klang meiner Herkunft, meiner Zukunft entgegen.
ANHANG
Leitfaden zur Geschichte der Mennoniten
Wenn es Ihnen wie den meisten Leuten geht, haben Sie sicherlich noch ein paar offene Fragen zu den Mennoniten. Mir werden diese Fragen ständig gestellt. Am Anfang des Buchs haben Sie vielleicht gedacht: Was? Mennoniten? Sind das nicht die, die mit
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