Fix und forty: Roman (German Edition)
sagte die mennonitische Matriarchin. »Ich sehe gern ein Paar gesunde Beine in Shorts.«
Moms neueste Ansagen in Sachen Klamotten waren für eine Mennonitin ein wenig überraschend. Zum Beispiel hatte sie neulich behauptet, dass es in der Wirtschaftswelt friedlicher zugehen würde, wenn sich alle Börsenmakler und Manager darauf einigten, ärmellose Hemden zur Arbeit zu tragen. Ihre Pro-Shorts-Haltung war ähnlich verblüffend, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass ich in meiner Jugend nicht mal Jeans tragen durfte, mit der Begründung, Jeans gehörten in die Scheune und trugen nicht zum Lobpreis Gottes bei. Ich hätte schwören können, dass ein Gott, der gepriesen werden will, Jeans noch eher duldet als Shorts. Jeans bedeckten wenigstens die Makel. Cellulite, Krampfadern und Narben trugen wenn überhaupt nur eingeschränkt zum Lobpreis Gottes bei. Doch wer war ich, die Kleidervorlieben des Allmächtigen zu durchschauen? Soweit ich es überblicken konnte, war es reine Glückssache. Vielleicht stand Gott sogar auf Hotpants. Spekulationen dieser Art überließ ich gerne Menschen wie meiner Mutter, die etwas davon verstanden.
Soeben betrachtete sie stirnrunzelnd die Hose, die ich schon gestern Abend beim Grillen getragen hatte. »Ich glaube, dass jeder deine Beine sehen will. Gestern hatten wir 32 Grad. Ich bekam schon einen Schweißausbruch, wenn ich dich nur ansah.«
Ich krempelte ein Hosenbein hoch. Mit den Narben und der leuchtenden Hühnerhaut, die stachelig und fast schon transparent wirkte, war mein Unterschenkel wirklich kein schöner Anblick. Hinzu kam, dass ich seit sieben Jahren ein akademisches Leben in einem nördlichen Klima führte, sodass die Farbe meiner Haut frisch gefallenem Schnee glich – oder besser, mit Wasser angerührtem fettarmem Milchpulver. Bei meinen morgendlichen Laufrunden hüllte ich meine Beine in Karatehosen. Nicht einmal beim Sport brachte ich es über mich, Shorts zu tragen.
»Warum willst du plötzlich deine Beine verstecken?«, hakte Mom nach. »Ich verstehe das nicht. Liegt es an den Narben? Du trägst deine Hosen so tief auf der Hüfte wie all die Teenager heutzutage.«
»Das ist was anderes.«
»Nein, ist es nicht«, beharrte sie. »Bei der Heuwagenfahrt der Kirche neulich, als wir auf den Heuballen Platz nahmen, saßen deine Jeans so tief, dass wir deine Unterhose sehen konnten.«
»Oh nein«, sagte ich peinlich berührt. »Meinst du, Elsie-Lynn und Walter haben meine Unterhose auch gesehen?« Elsie-Lynn und Walter hatten auf dem Heuballen direkt hinter mir gesessen.
Sie nickte versonnen. »Sie leuchteten in grellem Orange und Pink. Deine Unterhosen, nicht Elsie-Lynn und Walter.«
Oh! Was für eine nachträgliche Demütigung! »Einmal musste ich bei Walter einen Aufsatz über das Täuferreich zu Münster schreiben. Ich hätte ihm viel lieber meine Beine gezeigt als meine Unterhose. Ich wette, sie sind heute auch wieder dabei und sehen mich schief an, weil sie meine Unterhose schlimm fanden!«
»Reg dich ab. Wenn du mal so alt bist wie wir«, sagte meine Mutter, auch im Namen von Elsie-Lynn und Walter Hoeffer, »ist eigentlich alles interessanter als die Farbe deiner Unterhose. Walter und Elsie-Lynn haben Enkel. Sie haben schon allerhand gesehen.«
Obwohl wir ganze fünfzehn Minuten zu früh zum Mennonitischen Tag der Landwirtschaftsgeschichte kamen, waren meine Mutter und ich die Letzten, die in den Bus stiegen. Mein Blick wanderte über die silbernen Dauerwellen und grauen Bärte; die mennonitische Pünktlichkeit hatten wir unserem deutschen Erbe zu verdanken.
Auf dem Weg in den hinteren Teil des vollen Busses sah ich mit Freude, dass ich auf gleicher Höhe mit Abe und Arlene Kroeker sitzen würde. Meine Mutter überließ mir freiwillig den Sitz am Gang, weil ich mehr Platz für meine Beine brauchte. Und so saß ich weniger als einen halben Meter von Abe Kroeker entfernt. Abe Kroeker war der Vater eines Jungen, mit dem ich kurz in der Highschool zusammen gewesen war.
Ich gehe das Risiko ein und werde mal ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern. Dies ist meine Beichte. In den letzten fünfundzwanzig Jahren hatte ich einen immer wiederkehrenden, merkwürdigen Albtraum, in dem es um meinen Klassenkameraden Karl Kroeker ging. Stets ergriff mich während des Traums die gleiche eiskalte Panik: Oh neeeiiin , ich heiße Mrs. Kroeker! Verdammt , ich bin mit Karl Kroeker zusammen! Oh Gott , ich gehe den Mittelgang hinauf, und am Altar wartet – nein ! Karl
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