Fix und forty: Roman (German Edition)
Kroeker! Ich möchte ganz deutlich dazu sagen, dass Karl Kroeker und ich im richtigen Leben nie miteinander geschlafen haben, nie Freud und Leid des Erwachsenseins geteilt haben; nie irgendwelche Informationen bezüglich unserer Ziele, Ansichten, Freunde oder außerschulischen Aktivitäten ausgetauscht haben. Ich bin mir nicht mal sicher, ob wir uns je unterhalten haben. Ein einziges Mal haben wir amateurhaft im Schulbus rumgeknutscht.
Deswegen ist es mir ein Rätsel, warum Karl Kroeker mich seit Jahren in meinen Träumen heimsucht. Es ist, als wäre Karl Kroeker ein nervender Botschafter aus dem Reich des Unterbewussten. Wie Glenn Close in Eine verhängnisvolle Affäre lässt er sich einfach nicht abservieren. Allerdings ist es natürlich noch nicht so weit gekommen, dass ich jede Nacht von Karl Kroeker träume. Und wenn er in meinen Träumen auftaucht, mache ich auch nicht vor Angst ins Bett oder so etwas. Ich meine, ich bin ja nicht völlig gaga. Ich versichere Ihnen, dass ich nicht immer von Karl Kroeker träume, aber oft genug, um froh zu sein, mit Karl in meinem Erwachsenenleben nichts zu tun haben.
Jedenfalls wache ich jedes Mal schweißgebadet auf, innerlich strampelnd und schreiend, weil ich mich gegen den kosmischen Zwang auflehne, den Zweitgeborenen von Abe und Arlene Kroeker zu ehelichen. Richtig kompliziert wird es aber erst, wenn man bedenkt, dass ich jedes Mal Abe und Arlene wählen würde, wenn ich mir auf der ganzen Welt zwei Menschen aussuchen dürfte, die ich wirklich gerne als Schwiegereltern hätte. Ich habe sie immer extrem gerngehabt.
Ich bin keine Psychologin, aber ich vermute, dass Karl Kroeker aus irgendeinem Grund für die Summe meiner mennonitischen Erfahrung steht, für das Wesen des mennonitischen Volks. Er ist der Ur-Mennonit, der verkörpert, warum ich die »liturgische Bewegung« nicht gutheißen kann. Er ist das Abromtje , das frostige Herz der Melone, das ein Schatz sein soll, aber trotzdem irgendwie widerlich ist, wie ein Tumor, dem Haare und Zähne wachsen. Für die meisten Mädchen kommt ein Wendepunkt, wenn sie ihre Periode bekommen. Für mich war es der Zeitpunkt, als ich von Karl Kroeker zu träumen begann. Und das war lange bevor ich im Schulbus mit ihm knutschte. Obwohl ich erst in der Mittelstufe war, als die Albträume begannen, erkannte ich, dass sie einen wichtigen Wandel in meiner Psyche anzeigten, einen Bruch mit der Tradition. Meine Albträume signalisierten mir, dass ich schreiend vor dem Chaco davonlaufen sollte.
Das Ganze ist deshalb so merkwürdig, weil Karl Kroeker (nach mir) von allen Mennoniten vielleicht am wenigsten daran interessiert ist, den Chaco zu missionieren. Karl Kroeker hat Entscheidungen getroffen, die ihn weit von den Mennoniten weggeführt haben. Heute ein erfolgreicher Kardiologe in Boston, hatte Karl sich sogar noch früher dem Mainstream angeschlossen als ich. Während an der Highschool der Rest von uns Mennoniten-Kindern als schüchterne Mauerblümchen in selbst genähten Kleidern herumlief, war der clevere Karl Kroeker ein ausgezeichneter Sportler, Tennisstar und Schulsprecher. Er passt also eigentlich gar nicht in die Rolle des Verhängnisbringers. Im richtigen Leben, das sagen zumindest Abe und Arlene, ist Karl ein intelligenter, liebevoller, witziger, attraktiver und wohlhabender Mann.
Jedenfalls befand ich mich in einer Art Alarmzustand, als ich mich neben Abe und Arlene niederließ, die mich unweigerlich mit Neuigkeiten von Karl und seinen Brüdern versorgen würden. Karl, erfuhr ich, hatte eine Armenierin mit einer großen Familie in Des Moines geheiratet. Diese Nachricht heiterte mich aus irgendeinem Grund auf. Bösartig hoffte ich, dass Karls armenische Frau einen Damenbart hatte, den sie sich mit Wachs entfernen musste, oder wie Yvonne die meiste Zeit mit der Zähmung ihrer haarigen Bikini-Zone verbrachte.
Abe Kroeker war Geschichtsprofessor, und seine hohe Bildung hatte ihn oft hinaus in die Welt geführt. Als Mädchen hatte er mir damit größten Respekt eingeflößt. Wie mein Vater war Abe inzwischen im Ruhestand. Er schien ein winziges bisschen lockerer geworden zu sein, und er ließ sich sogar zu einem gemäßigten Ausdruck von Stolz herab, als Arlene von ihren erfolgreichen Söhnen erzählte. Wenn ich ihn und Arlene in der Öffentlichkeit sah, legten sie die eheliche Rollenverteilung an den Tag, die in unseren Kreisen so häufig ist. Genau wie bei meinen Eltern war er ernst und schweigsam; sie gesellig und
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