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Fix und forty: Roman (German Edition)

Fix und forty: Roman (German Edition)

Titel: Fix und forty: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rhoda Janzen
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warmherzig.
    Fünf Jahre zuvor hatte Arlene von meinem Interesse für die Geschichte der Mennoniten gehört und war so lieb gewesen, mir drei besondere Tulpenzwiebeln zu schenken, Nachkommen derselben Gattung, die Menno Simons, der Begründer des mennonitischen Glaubens, im sechzehnten Jahrhundert pflanzte. Ich erzählte ihr, dass wir inzwischen in das Haus am See umgezogen waren und dass ich meine mennonitischen Zwiebeln ausgegraben und mitgenommen hatte. Sie nickte unbeeindruckt, als hätte sie nicht weniger von mir erwartet.
    In dem großen Reisebus gab es eine Toilette, doch meine älteren Reisebegleiter benutzten sie nicht. Mennoniten mögen es nicht, wenn andere Mennoniten dabei zusehen, wie sie den Gang hinuntergehen, um sich zu erleichtern, aber ich war zu sehr die Tochter meiner Mutter, als dass ich mich für meine Bedürfnisse schämte. Auf dem Rückweg nahm der Busfahrer eine scharfe Kurve und ich kam ins Schwanken. Ich wurde in Abes Richtung geschleudert und wäre um ein Haar mit vollem Gewicht auf seinem Schoß gelandet, wenn ich es nicht im letzten Moment auf meinen eigenen Sitz geschafft hätte. Abe hatte nicht gezögert. Wohlwollend hatte er die Arme ausgebreitet und neckend gerufen: »Na, dann komm!«, als hätte ich mich mit Absicht auf ihn werfen wollen. Arlene fand das Ganze wahnsinnig komisch. Lachend klatschte sie in die Hände und machte den Rest des Tages Witze über die unwiderstehliche Anziehungskraft ihres Mannes.
    Doch jetzt kommt der Knackpunkt. Ich weiß nicht, ob es an meinen seltsamen Träumen von Karl lag, aber in dem Moment, als Abe Kroeker mich mit seinen paarundsiebzigjährigen Augen anblinzelte, hatte ich mich plötzlich stark zu ihm hingezogen gefühlt. Wie bei einer selbsterfüllenden Prophezeiung wollte ich mich in seine Arme werfen. Igitt. Ich dachte sogar kurz darüber nach, ob ich womöglich die ganze Zeit nicht für den Sohn, sondern für den Vater geschwärmt hatte. Lag es an mir, oder war da wirklich etwas ungeheuer Attraktives an einem kahlköpfigen Mennoniten aus der Ü-Siebzig-Riege, der orthopädische Schuhe und einen Pullunder trug?
    Die letzte Station des Ausflugs war eine Kräuter-Farm, deren Besitzerin ein ehemaliger Hippie war. Sie kannte und verstand die Kultur der Mennoniten, denn sie war Jahrzehnte zuvor aus ihr ausgebrochen. Als Teil ihrer Einführung in die herrliche Welt der Kräuter verteilte sie ein paar Rhythmusinstrumente, wie man sie aus dem Kindergarten kennt: Schlagstäbe, Tamburine, Schellen. Dann lud sie alle Senioren dazu ein, sie zu begleiten, während sie eine Art Folksong über die heilenden Kräfte von Salbei und Thymian zum Besten gab. Meine Mutter, die in ihren bestickten Jeans und der Schlangenlederjacke unfreiwillig stylish aussah, ließ die Hüften schwingen und schlug herzhaft auf ihr Tamburin. (Eines der ungelösten Rätsel in unserer Familie war Moms Schwäche für Raubtiermuster. Vielleicht war ein rezessives Gen dafür verantwortlich. Einmal hat sie mir ein Kleid aus einem Stoff genäht, der mit Giraffen, Löwen und Antilopen bedruckt war, die durch die Savanne sprangen oder auf der Lauer lagen. Mom wusste zu wenig über Mode, um das Aufreizende in Raubtiermustern zu sehen, und so war es herrlich erfrischend, wenn sie in etwas derart Schickem wie einer Schlangenlederjacke ausging.)
    Um mich herum schwenkten all diese wunderbaren Menschen gutmütig ihre Schellen und schlugen ihre Stäbe aufeinander wie eine alte, aber begeisterte Percussion-Band. Die Ironie war ihnen bewusst – rhythmische Bewegungen waren bei den Mennoniten tabu –, aber sie hatten eine Phase ihres Lebens erreicht, in der Gott entspannt genug war, um über ein paar klingelnde Schellen hinwegzusehen. Ich sah, wie der alte Herman Froese, Orgelspieler im Ruhestand, mit dem Fuß zum Takt stampfte. Dort stand die süße Doreen Hiebert und schunkelte Arm in Arm mit ihrem Mann Arthur. Arlene Kroeker sang mit ihrem wohlklingenden Alt zur Triangel, während Abe ihre Tüten vom Souvenirladen hielt. Er wirkte wie ein eulenhafter Professor, dem nichts ferner lag als Rosmarinbeutel und Nelkentee zu kaufen, doch der genau dies tat, weil er die Frau, mit der er seit fünfzig Jahren verheiratet war, liebte.
    Aus dem Tal zog der Duft von Lavendel herauf. Als ich klein war, hatte mir meine Sonntagsschullehrerin Mrs. Lorenz – dieselbe, die mir die mit Rosinen verseuchten Kekse angeboten hatte – einmal ein Geschenk überreicht, weil ich die Bergpredigt auswendig gelernt hatte.

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