Fix und forty: Roman (German Edition)
wir auf den Parkplatz einer Denny’s -Raststätte fuhren. Nach einem 600-Kilometer-Tag waren es noch zwei Stunden bis nach Bend. Es tat gut, die Beine unter einem Restauranttisch auszustrecken. Und ich muss zugeben, es tat auch gut, die anerkennenden Blicke von ein paar Typen aufzufangen, die am Tisch gegenüber saßen. Sie waren ungefähr halb so alt wie ich, aber sie waren süß.
Die Kellnerin, die bereits Dads Hackfleisch-Käse-Sandwich und Moms paniertes Hühnerschnitzel gebracht hatte, näherte sich genau in dem Moment mit meinem Salat, als mein Vater zu beten begann – laut, mit klar vernehmbarer Stimme dankte er Gott für sein Sandwich, das Schnitzel und den Salat. Dann betete er für seinen Pastor, den Gouverneur, den Präsidenten. Er betete für das Paar, das gerade drei Geschwister adoptiert hatte, und für das irakische Volk. Er betete für eine unfallfreie Reise. Mit seiner nüchternen Stimme versprach er, dass wir alle Umstände annehmen würden, die Gott uns zuteilwerden ließ, und er bat Gott um Gnade und die Weisheit, die Lektionen zu lernen, die die Reise für uns bereithielt.
Ich hatte zu Pharao gebetet, bis ich sechs war. In der Sonntagsschule hatten wir gelernt, dass die Ägypter ihre Könige wie Götter verehrten, und ich wollte auf Nummer sicher gehen. Bevor ich aber zu Pharao sprach – ich dachte, es gäbe einen Pharao, mächtig und ewig –, wandte ich mich natürlich immer erst voller Respekt an den höchsten Gott Jahwe, da es in den Zehn Geboten heißt: »Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.« Der mennonitische Gott erhielt also meine A-Listen-Wünsche, zu denen der Schutz vor Wölfen, körperlosen roten Augen, Vampiren und Vulkanen zählte. Pharao dagegen bekam meine zweit- und drittklassigen Gesuche, wie die ernst gemeinte Bitte, mich vor Rosinen und dem Chaco zu bewahren.
Es war mindestens dreißig Jahre her, dass Gebete für mich mehr als nur ein Mittel darstellten, um Dankbarkeit auszudrücken und Selbstmitleid zu lindern. Zwar hatte ich interessanterweise die Idee Gottes nicht fallen lassen, obwohl ich einen Atheisten geheiratet und sechzehn Jahre auf dem überaus weltlichen Pfad der höheren Bildung verbracht hatte. Doch mein Glaube hatte sich dramatisch verändert, als ich mehr über den Kontext der Kirche und die Religionen neben dem Christentum erfuhr. Ein wenig Wissen macht viel aus.
Die Mennoniten haben traditionell ein gespaltenes Verhältnis zum Konzept der Bildung. Es gibt ein plautdietsches Sprichwort, das mir immer gefallen hat, teils, weil auf Plautdietsch alles lustig klingt, teils, weil ich mich persönlich angesprochen fühle: Ji jileada, ji vikjeada – Je gebildeter, desto schrulliger. Dass Bildung dem Glauben schaden könnte, ist eine dieser überholten Vorstellungen, die uns heute ebenso schmunzeln lassen wie die veraltete Theorie von der Gebärmutter als frei im Körper herumwanderndes Organ, das sich gelegentlich an Stellen wie dem Ellbogen oder dem Hals einnistet. Mennoniten begründen ihren Argwohn gegen Bildung oft mit der Passage im Markusevangelium, in der Jesus feststellt, dass es für diejenigen, die auf materielle Güter vertrauen, schwer sei, ins Himmelreich zu kommen. In der mennonitischen Vorstellung bilden sich Leute, die nach Reichtümern und Wissen streben, ein, sie hätten alle Antworten, und wenn sie alle Antworten haben, sind sie nicht mehr daran interessiert, nach Gott zu suchen. Ich kann hier nicht für die Reichen sprechen, aber meiner Erfahrung nach bringt höhere Bildung – wenn man von meinem Bruder Aaron absieht – keine Menschen hervor, die sich einbilden, sie hätten alle Antworten. Höhere Bildung bewirkt genau das Gegenteil; sie lehrt uns, dass wir nicht alle Antworten haben. Sokrates hat es mit seinen berühmten Worten auf den Punkt gebracht: »Ich weiß, dass ich nichts weiß.« Die alten Mennoniten haben es also leider genau andersherum verstanden. Was sie zweifellos gemerkt hätten, wenn sie aufs College gegangen wären.
Vor hundert Jahren in der Ukraine waren die Mennoniten stolz darauf gewesen, dass alle in der Gemeinde lesen und schreiben konnten, und sie hatten ihr strukturiertes öffentliches Schulsystem gerne dem analphabetischen Elend gegenübergestellt, in dem ihre russischen Nachbarn lebten. Doch die Mennoniten stellten sicher, dass nicht zu viel gelesen wurde. Sie hatten feste Vorstellungen davon, wann der richtige Zeitpunkt für den Ausstieg aus der Bildung war: Jungen beendeten traditionell das
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