Fix und forty: Roman (German Edition)
die der Inhalt der Truhe auslöste, nicht lange aufhalten. Caleb, der mit offenem Mund eine Banane kaute, brüllte: »Mom! Rhoda muss schon wieder kotzen!« Dann stupste er mich mit der Banane an.
»Ich kann jeder Rosine eine Hauptstadt zuordnen«, rief Aaron streberhaft. »Concord. Tallahassee. Boise. Juneau.«
»Sie hält sich schon den Mund!«, warnte Caleb. Dann vertraulich zu mir: »Guck mal.« Er hielt einen der langen Fäden hoch, die manchmal zwischen der Banane und der Schale kleben. »Guck mal, es kommt aus meinem Auge raus. Guck mal, das ist das weiße Zeug, das morgens beim Aufwachen in deinem Auge hängt.«
»Du bist selber das weiße Zeug in deinem Auge, Blödmann!«, gab Aaron zurück. »Ich wette, du kennst nicht mal die Hauptstadt von Vermont. Diese Rosine ist die Hauptstadt von Vermont. Guck mal«, sagte Aaron und schob sich Montpelier in ein Nasenloch.
Um ihm in nichts nachzustehen, schob sich Caleb den feuchten Bananenfaden ins Nasenloch. »Guck mal, guck mal, guck mal.«
»Langweilig«, sagte Aaron verächtlich. »Deins ist nur ein Stück von einer Banane. Meins ist Montpelier!« Mit klebrigem Finger zog er Montpelier wieder heraus und schmierte es auf Caleb.
»P. Z.!«, rief Caleb fröhlich und schnippte Montpelier zurück in Aarons Richtung. Doch er verfehlte ihn. Montpelier blieb in Hannahs weißblondem Haar hängen. »Popelzone! Hannah-fofannah, du hast einen Popel in deinen Haaren!«
Hannah fing an zu weinen.
»In unserer Familie benutzen wir solche Ausdrücke nicht, junger Mann!«, bellte mein Vater über die Schulter. »Mary, was ist da hinten los?«
Sie drehte sich um und sah Aaron, den Ältesten, fragend an.
»Caleb hat böse Sachen gesagt, Hannah heult, weil sie eine Rosine im Haar hat, und Rhoda muss brechen.«
Unerwarteterweise richtete meine Mutter ihre Aufmerksamkeit auf die Rosine. »Wie ist die Rosine in ihrem Haar gelandet?«
»Caleb hat sie da hingeworfen.«
Mom wurde ernst. »Caleb. Du isst die Rosine sofort auf. In unserer Familie werden Rosinen nicht weggeworfen.«
»Aber …«
»Keinen Ton, junger Mann. Du. Isst. Die. Rosine.«
Beleidigt aß Caleb die Rosine, die vorher in der Nase seines Bruders gesteckt hatte, doch er machte dabei laute Würgegeräusche, die mir den letzten Anstoß gaben.
»Si, halt an. Rhoda muss sich übergeben.«
Der VW-Bus hatte keine Klimaanlage, und doch bot er einen überraschenden Luxus. Mom hatte ihn mit einem Bett aus Sperrholz und einer selbst genähten Matratze aus rotem Segeltuch mit weißem Sternenmuster ausgestattet. Es gab dazu passende Kissen, und so zwängten wir vier uns in diesem feuchten Nest zusammen und lasen während der ganzen langen heißen Kilometer durch die trockene, struppige Landschaft von Nevada bis Utah. Manchmal ließ Mom Hannah und mich nachts im VW-Bus schlafen statt in dem müffelnden Zelt, in dem es nicht nur nach Schimmel und Mundgeruch, sondern auch nach den Fürzen meiner Brüder stank. Das Zelt bot keinen Schutz vor Moskitos. (Die Kreaturen der Nacht konnten durch die vielen Löcher in den »Fliegenfenstern« nach Belieben kommen und gehen.)
In einem der feuchteren Staaten plagten wir uns eines Nachts schlagend und kratzend mit einem besonders aggressiven Mückenangriff herum. Riesige Moskitos hingen wie der Rauch eines unsichtbaren Feuers in der Luft, obwohl wir uns längst mit Hüten, langen Ärmeln und Mückenspray bewaffnet und ein Lagerfeuer angezündet hatten. Trotzdem kamen sie und schwärmten aus wie eine Spezies aus einem Hitchcock-Film. Schließlich kapitulierte Mom und marschierte zu dem kleinen Tante-Emma-Laden des Campingplatzes, um eine Räucherbombe zu kaufen – gegen den Protest meines Vaters, der Räucherbomben zu teuer fand. Als sie zurückkam, fackelte meine Mutter die Gegend gründlich ab, und eine Weile konnten wir in Ruhe Quartett spielen.
In dieser Nacht bettelten Hannah und ich darum, im VW-Bus übernachten zu dürfen. Doch kaum waren wir zum Schlafen ins Bett gekrochen, hörten wir sie: die hohe, sirrende Frequenz einer Legion von Moskitos, die bei uns im Bus war. Ich knipste die Taschenlampe an, um das Massaker zu beginnen.
»Mädchen!«, warnte mein Vater aus dem Zelt. »Legt euch schlafen!«
Noch bevor Dad ein zweites Mal rief, hatten wir bereits mehrere riesige, spinnenartige Moskitos erlegt, aber ich wusste, dass hier drastischere Maßnahmen gefragt waren. Ich wand mir die Zelttasche wie einen Turban um den Kopf, sprang aus dem Wagen, schnappte mir die
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