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Fix und forty: Roman (German Edition)

Fix und forty: Roman (German Edition)

Titel: Fix und forty: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rhoda Janzen
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Wortes Tittenfick nachzugrübeln.
    Die seltsame Angst verfolgte mich bis ins frühe Erwachsenenalter. Als ich einmal von der Uni nach Hause kam, fand ich einen Zettel an meiner Tür. In unheimlichen großen Druckbuchstaben stand darauf:
SO VIELE DONUTS WIE DU VERDRÜCKEN KANNST
FREITAG 19 : 00 UHR BEI MIR,
ICH WILL DICH KENNENLERNEN, RODA.
JIMMY
    Jimmy war ein uncooler Typ, dem ich mal im Waschsalon begegnet war. Heute, nach dreiundzwanzig Jahren, kann ich über seine Art, mich zu einem Rendezvous einzuladen, lachen. Doch damals löste der Zettel an meiner Tür ein heilloses Durcheinander der Gefühle in mir aus, dessen Crescendos über mich hinwegrollten wie Elisabeth Kübler-Ross’ Phasen des Trauerns und des Sterbens. Erst verspürte ich Abscheu: »Verdrücken«? Verdrücken?!? Dann Verwirrung: Was für ein Mensch isst freitagabends Donuts? Dann Angst: Woher weiß dieser Jimmy, wo ich wohne? Und schließlich Panik: Sehe ich aus wie eine Donut-Verdrückerin? Ogottogott, sehe ich in dem Kleid aus wie Agnes Ollenburger, die dicke Mennonitin meiner Jugend, die sich an den Oberarmen Fett absaugen ließ und anschließend in der Kirche um Vergebung dafür bat?
    Jimmy musste ein Perverser oder ein Serienmörder sein. Am Freitagabend ging ich wie immer in die Bibliothek, jedoch nicht ohne Jimmys Zettel an eine sichtbare Stelle auf dem Küchentisch zu legen, damit ihn die Polizei finden würde, falls meine verstümmelte Leiche auf einer Müllkippe auftauchte.
    Jetzt, mit dreiundvierzig, auf der langen Fahrt mit meinen Eltern nach Bend, saß ich still und eingezwängt auf dem vollgestopften Rücksitz und erinnerte mich meiner Ängste wie eines schrill sirrenden Moskitoschwarms. Und mir fiel keine Erklärung dafür ein, dass Hannah und ich immer so furchtsam gewesen waren. Klar, in der Kultur der Mennoniten herrschte Misstrauen gegen die öffentliche Darstellung von Sex; das war bekannt. Während der wenigen Gelegenheiten, bei denen wir Kinder fernsehen durften, musste mindestens ein Elternteil anwesend sein. Mein Vater überwachte das Geschehen wie ein strenger Gefängniswärter. Immer wenn irgendeine Figur in der Sendung, sei sie verheiratet oder Single, Anstalten machte, jemanden vor laufender Kamera zu küssen, ging Dad dazwischen und schüttelte die Fernbedienung wie einen Elektroschocker. Blitzschnell schaltete er um und murmelte mit finsterer Missbilligung: »Schmutz!« Sex, so viel war klar, war eine sündhafte Angelegenheit.
    Meine Eltern dagegen waren ziemlich furchtlos. Voller Selbstvertrauen spazierten sie durch die Welt, nahmen Risiken auf sich, öffneten Fremden ihre Türen und bereisten die Kontinente wie gestandene Kosmopoliten. Mein Vater war wegen seiner Führungsposition in der internationalen Mennonitenkirche viel unterwegs, und meine Mutter begleitete ihn gern. Nach seiner Pensionierung hielten sie an der Reisegewohnheit nicht nur fest, sondern bauten sie aus, indem sie anfingen, monatelange Exkursionen mit anderen mennonitischen Paaren zu planen.
    Geografie wurde in unserer Familie großgeschrieben, was allein schon der ewige Blecheimer mit den US-Hauptstädten im Auto bewies. Doch meine Eltern wollten uns nicht nur bloßes geografisches Wissen vermitteln, sondern auch Vertrautheit mit dem internationalen Parkett. Ironischerweise bezogen sie als zwei der konservativsten Mennoniten energisch Stellung gegen Einsprachigkeit. Eine amerikazentrierte Weltsicht, so glaubten sie, war mit christlichen Werten unvereinbar, weil Gott alle Nationen gleichermaßen liebte. Meine Eltern bestanden darauf, dass wir Kinder ins Ausland reisten und dort studierten. Sie haben die ganze Welt bereist und kennen jeden Kontinent bis auf die Antarktis, die vermutlich als nächstes Ziel auf ihrer Liste steht. Sogar den Chaco kennen und lieben sie. In Anbetracht der Tatsache, dass meine beiden Großmütter die Schule nur bis zur dritten Klasse besucht und ihr Dorf nie verlassen hatten, bevor sie ins ländliche Ontario auswanderten, ist es witzig, von einer Mutter wie meiner Postkarten aus Kinshasa, Istanbul oder Hyderabad zu erhalten, auf denen sie verkündet: »Wir haben eine Spinne in der Größe einer Teekanne gesehen! Papa mag den Joghurt nicht. Auf der Straße laufen die Kühe frei herum. Alles Liebe, Mom.« Und aus Kalkutta: »Sie verbrennen hier ihre Toten mit alten Autoreifen. Anscheinend ist ihnen das Holz ausgegangen. Es stinkt zum Himmel. Alles Liebe, Mom.«
    Ich dachte gerade an die Furchtlosigkeit meiner Eltern, als

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