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Fix und forty: Roman (German Edition)

Fix und forty: Roman (German Edition)

Titel: Fix und forty: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rhoda Janzen
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Räucherbombe und war innerhalb von zehn Sekunden wieder im Bus.
    »Mädchen! Gleich muss ich rüberkommen!«
    »Wir schlafen schon!«, rief ich zurück. Doch bevor wir uns hinlegten, zündete ich den Rest der Räucherbombe im VW-Bus an. Bei geschlossenen Fenstern. Hannah musste husten und würgen, als sie den feuchten Giftrauch einatmete. »Ich kann nicht atmen«, flüsterte sie.
    »Ich auch nicht«, flüsterte ich zurück, »aber daran gewöhnen wir uns. Ab jetzt traut sich kein Moskito mehr an uns heran!«
    Als unsere Mutter am Morgen die Tür des VW-Busses öffnete, um uns aufzuwecken, wich sie hustend und mit den Armen wedelnd zurück. Allmählich hoben sich die giftigen Dämpfe, und von draußen strömte kühle frische Luft herein. Dankbar atmeten wir sie ein.
    »Oh Rhoda! Was hast du getan?«
    »Räucherbombe«, keuchte ich.
    »Du hättest euch umbringen können! Wie konntest du nur so etwas tun?« Sie war den Tränen nah. Hannah war taumelnd aufgestanden und hatte sich gleich wieder gesetzt, den Kopf zwischen den Beinen.
    »Es waren so viele Moskitos im Bus«, erklärte ich. »Ich durfte nicht zulassen, dass sie uns kriegen.«
    Als meine Mutter mich bei unserer Fahrt dreißig Jahre später an die Geschichte erinnerte, musste ich über meine frühe Entschlossenheit, mich auf keinen Fall auffressen zu lassen, lächeln. Aber die Geschichte schien mir vor allem auch eine gute Analogie zu Hannahs und meinen Kindheitsängsten zu sein. Wovor wir uns immer so fürchteten, kann ich nicht genau sagen; wir wurden in keiner Weise missbraucht, überfallen oder vergewaltigt. Im Gegenteil, als Mennoniten führten wir ein besonders behütetes Leben. Kein Radio, keine Achtspurkassetten, kein unbeaufsichtigtes Fernsehen, kein Spielzeug, das auch nur entfernt nach weltlichen Werten roch. Ein Jojo, das schon. Die Kiste, in der der Kühlschrank der Nachbarn geliefert wurde? Tob dich aus! Ein Slinky, diese Metallfeder, die die Treppen heruntersteigen konnte? Klar! Badminton? Auf jeden Fall! Aber ein dickes Nein zu den folgenden drei Dingen: Barbies Traumhaus (zu erwachsen? Oder zu Barbie-könnte-womöglich-eine-andere-Barbie-auf-ihrem-Bett-verführen?); das Leucht-Steckspiel Lite-Brite (zu elektrisch und damit zu protzig?); essbare Insekten-Gummibärchen zum Selbermachen (zu satanisch?). Selbst unsere Freunde wurden auf schlechte Einflüsse gefilzt.
    War vielleicht der Grad unserer Abschirmung verantwortlich für die Angst, die sowohl Hannah als auch mich seit der Pubertät verfolgte? Ah, das waren Zeiten, als wir in jedem Mann, der sich uns näherte, ein Raubtier witterten! Irgendwo, irgendwie hatte uns die mennonitische Kultur vermittelt, dass alle männlichen Nicht-Mennoniten potenzielle Vergewaltiger waren. Und so bewegten wir uns jedes Mal, wenn wir den sicheren Schoß der mennonitischen Gemeinde verließen, auf furchterregend fremdem Terrain. Ich fürchtete mich vor Schulveranstaltungen, hatte schreckliche Angst vor dem, was passieren könnte, falls ich je unvorsichtigerweise ein Bier trank, begann zu zittern, wenn ein Junge mich um ein Date bat, und war so schreckhaft wie ein Eichhörnchen, das beim Anblick eines auf es zukommenden Fahrzeugs in Schockstarre verfällt. Selbst wenn Ihr schwuler Ehemann das Fenster herunterkurbelt und ruft: »Komm in die Hufe, Kleiner!«, wirken diese Eichhörnchen wenig entscheidungsfreudig. Mir taten sie immer leid. Auch ich hatte dem Verderben ins Gesicht geblickt. Und wie die Eichhörnchen hatte ich einfach die Augen geschlossen und gehofft, das Verderben würde vorbeiziehen.
    Hannah und ich gingen in der Annahme, dass Nicht-Mennoniten zu allem fähig waren. Insbesondere für Serienmörder in ungekennzeichneten weißen Lieferwagen schien die Außenwelt ein guter Nährboden zu sein. Wenn Hannah und ich zum Beispiel zum Drogeriemarkt Thrifty liefen, um heimlich Erdbeer-Lippenbalsam der Marke Bonne Bell zu kaufen, heckten wir jedes Mal einen Plan A und einen Plan B aus, für den Fall, dass ein Serienmörder uns eine Mitfahrgelegenheit anbot oder die Absicht hatte, uns in seinen weißen Lieferwagen ohne Kennzeichen zu zerren. Ich freue mich, berichten zu können, dass der Ernstfall nie eintrat. Da wir aber noch vor der Einführung von politischer Korrektheit in die Pubertät kamen, passierte es schon mal, dass einige drastische Kommentare über unsere Anatomie fielen. Ich, die immer noch glaubte, man könnte vom Küssen schwanger werden, verbrachte viele Abende damit, über die Bedeutung des

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