Fix und forty: Roman (German Edition)
letzter Zeit ließ sie so häufig und doch so beiläufig Dampf ab, dass sie sich nicht einmal mehr dafür entschuldigte. Sie sah das Ganze wahnsinnig gelassen.
Meine Freundin Lola, die ebenfalls unter starkem Darmhusten leidet, erzählte mir einmal von einem höchst peinlichen Vorfall während einer abendlichen Kulturveranstaltung in einer Villa in Bologna. Zwei italienische Künstler waren ihr in die Küche gefolgt, wo sie gerade ein Tablett mit Häppchen nachfüllte. Plötzlich entwich ihr vor den beiden Männern ein hörbares, primordiales Lüftchen. Schockiert starrten die Italiener sie an. Die arme Lola improvisierte. Sie zuckte mit den Schultern, lachte und sagte: »Che posso dire? Sono americana!« (Was soll ich sagen? Ich bin Amerikanerin!) Ich erzählte meiner Mutter die Geschichte und schlug vor, dass sie doch auch mit den Schultern zucken und die Schuld heiter auf ihr Herkunftsland schieben könnte, wenn sie sich in einer ähnlich brisanten Lage befände. »Tut mir leid, ich bin Kanadierin«, könnte sie murmeln, oder einfach: »God save the Queen!«
In meiner letzten Woche in Kalifornien besuchten wir das berühmte Haushaltswarengeschäft Kohl’s , um uns die Gugelhupfformen anzusehen. Dort, vor mehreren anderen Kunden und einem Blindenhund, ließ meine Mutter eine schmetternde Fanfare von einem Furz erklingen – so satt, so unmissverständlich, so donnergleich, dass sie beinahe prophetische Qualität erreichte. Dies war der Moses unter den Fürzen, ein unangefochtener Führer, der seinesgleichen suchte. »Sie schallt, die Posaun’!« hätte Georg Friedrich Händel ausgerufen. Ich konnte kaum glauben, dass meine eigene Mutter einen derartig dröhnenden akustischen Effekt erzeugt hatte. In aller Öffentlichkeit.
Mom erinnerte mich immer ein wenig an die tüchtige Hausfrau aus dem Buch der Sprüche Salomos, Kapitel 31, die alle Perlen an Wert übertrifft. Sie hatte allerdings noch andere Eigenschaften mit dieser Frau gemeinsam. »Die tüchtige Frau«, bemerkte ich, die Sprüche zitierend, »gürtet ihre Lenden mit Kraft.«
»Ich wäre lieber still an deiner Stelle«, sagte meine Mutter drohend. »Du bist Halb-Kanadierin, vergiss das nicht.« Dann ließ sie noch einen kleineren Junior-Furz, als wollte sie damit ihrer Aussage Nachdruck verleihen. Meine Mutter hat immer das letzte Wort.
Es gab einen interessanten Zusammenhang zwischen dem Vorfall bei Kohl’s und dem Umgang meiner Mutter mit der zerbrechlichen, Perücke tragenden Mrs. Leona Wiebe. Moms stoischer Gleichmut gegenüber dem Körper und seinen Funktionen hatte, was den Grad der Offenheit und Transparenz betraf, fast schon etwas Christliches. Was der Rest von uns als Fehlfunktionen des Körpers ansah – Tod, Krankheit, peinliche Magenwinde –, interpretierte sie als Funktionen des normalen Körpers. Sie sprach über den Tod genauso ungehemmt wie über das Leben, nüchtern und mit einem wohlwollenden Enthusiasmus, der in dieser Welt so deplatziert wirkt. Sie hatte Mrs. Leona Wiebe ins Gesicht gesagt, dass sie im Krankenhaus schrecklich ausgesehen hatte. »Ich dachte schon, Sie wollten bald das Zeitliche segnen« , waren ihre exakten Worte. Das wäre so ziemlich das Letzte, was ich beim Krankenbesuch zu einer gebrechlichen Dame sagen würde, doch aus dem Mund meiner Mutter klangen die Worte seltsamerweise tröstlich, als wäre nichts dabei, dass jedes Ding unter der Sonne seine Stunde hat. Ebenso wie die direkte Konfrontation mit dem Tod ist normalerweise die Weigerung, sich für das Abgehen von Leibwind zu entschuldigen, für die meisten Amerikaner ein schockierender Bruch mit der Etikette. Bei meiner Mutter dagegen verdeutlichte dieses Verhalten lediglich ihren Standpunkt, dass die Manieren, die wir anstreben, nicht notwendigerweise die Manieren sind, die wir haben. Und darin lag eine erfrischende Ehrlichkeit – auch wenn ich auf einen Stapel cordgebundener Bibeln schwöre, dass ich mir an ihrem Benehmen im Kaufhaus Kohl’s nicht ein Beispiel nehmen werde, ganz gleich wie sehr ich sie liebe.
Ich dachte eine Weile darüber nach, was es in der heutigen Zeit bedeutete, eine tugendhafte Frau zu sein. Meine Mutter, Gott segne sie, zählte nicht wirklich; sie war eine tugendhafte Frau aus einer anderen Zeit. Mary Loewen Janzen war wie die engelsgleiche Marmee March aus Kleine Frauen , Louisa May Alcotts Klassiker aus dem Jahr 1868. Sowohl Marmee als auch meine Mutter kümmerten sich um die Kranken, kleideten die Armen ein und brachten den
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