FJORD: Thriller (German Edition)
Noah unablässig nach weiteren Fakten. Bei jeder Frage wimmerte Gunhild. Sein Sohn schickte ihm verstohlen strafende Blicke, die Magnus jedoch geflissentlich übersah. Der Schweiß rann ihm in Strömen über das Gesicht. Auch er war gesundheitlich nicht auf der Höhe. Die viele Arbeit, die Verantwortung und der Stress hatten Spuren hinterlassen.
»Magnus, setz dich bitte endlich mal hin«, verlangte Noah.
Dieser schüttelte nur den Kopf. »Nein, ich kann mich jetzt nicht ausruhen. Ich muss den Mörder meiner Tochter finden.«
»Das ist die Aufgabe der Polizei, mein Freund«, erinnerte Noah zum wohl sechsten Mal, »sie wird sich darum kümmern, sobald die Hubschrauber wieder fliegen können. Wenn sich der Nebel erst verzogen hat. Sie werden den Schuldigen finden, Magnus, ganz sicher!«
»Warum nur?«, fuhr Magnus fort. »Sie hat doch niemandem was zuleide getan. Sie war doch so ein liebes, braves Mädchen …« Das kurze, leise Schnauben seines Sohnes entging ihm nicht. Verärgert fuhr er zu ihm herum. »Willst du etwas anderes behaupten, Sohn?«
Gunnar schüttelte den Kopf. »Wann wirst du endlich einsehen, dass Liv nicht so unschuldig und brav ist … war … wie du sie immer gesehen hast? Liv und ihre Männergeschichten! Es gibt vermutlich ein Dutzend Personen, die ein Motiv gehabt hätten, sie …«
»Gunnar, bitte!«, unterbrach ihn Noah.
Gunhild wimmerte lauter. Ihre Augenlider zitterten. Beschämt wandte sich Gunnar wieder seiner Mutter zu und sprach beruhigend auf sie ein.
»Untersteh dich, so von deiner Schwester zu reden!«, rief Magnus erbost aus und schüttelte die Faust in Richtung seines Sohnes. Doch beim Anblick seiner Frau verpuffte seine Wut und er wandte sich wieder ab. »Ihr habt also Erik Sommers Angel bei ihr gefunden, sagst du?«
Noah schüttelte den Kopf. Den Starrsinn hatte Magnus von seinem Vater. »Ja, aber das muss nichts heißen. Wir kennen Erik. Er würde nie …«
»Und warum nicht?«, rief Magnus aufgebracht und eilte auf Noah zu, den Zeigefinger drohend erhoben. Noah roch den kalten Schweiß und sah in glasige Pupillen. Auch Magnus stand unter Schock, doch er lebte ihn anders aus als Erik Sommer. »Bestimmt wollte er sich rächen, weil …«
»Weil?«, hakte Noah nach, als Magnus innehielt. »Ich denke, du solltest dich jetzt dringend ausruhen!«
Dieser winkte ab, war mit seinen Gedanken schon wieder ganz woanders. »Ach, er hat mein Angebot abgelehnt, Backwaren für das Hotel zu liefern. Ihm passte der Preis nicht.«
»Na und?«, fragte Noah, der wusste, dass dies nicht alles gewesen sein konnte.
»Ich sagte ihm, dass wir dann eine eigene Backstube aufmachen würden.« Magnus drohte mit dem Finger. »Und das hat ihm ganz und gar nicht gepasst! Wer weiß, wozu dieser Mensch fähig ist? Sind doch immer die lieben, netten, unauffälligen Mitbürger, die sich später als die schlimmsten Verbrecher herausstellen!«
»Vater, das ist lächerlich! Glaubst du wirklich, Erik wird wegen deines Geizes und ein paar Brötchen zum Mörder? Weißt du, warum Liv wirklich sterben musste? Sie war ein Flittchen, Vater! Der halbe Ort war mit ihr zusammen. Wann siehst du das endlich ein?«
Magnus eilte durch den Raum und versetzte seinem Sohn eine schallende Ohrfeige. Gunnar nahm sie wortlos hin. »Nie! Hörst du! Nie wieder behauptest du so etwas von deiner Schwester!«
»Schluss jetzt!«, rief Noah. Seine Worte verhallten wirkungslos.
»Du kannst die Wahrheit noch so oft leugnen, sie verändert sich dadurch nicht, Vater! Ihr Verhalten war krankhaft. So was kommt nicht von ungefähr.«
»Willst du damit sagen …« Heiser brach Magnus ab und zerrte am Kragen seines durchgeschwitzten Hemdes.
»Deine Tochter konnte gar nicht mehr anders. Wie oft hab ich euch versucht zu erklären, dass ihr Liv helfen müsst! Aber ihr habt mich jedes Mal abgewiesen und euer braves Mädchen in Schutz genommen!«
Noah eilte besorgt zum Nachttisch, goss Wasser in ein Glas und reichte es Magnus. »Trink das! Und dann bremst euch ein, Herrgott nochmal!«
Mit einer unwilligen Geste und ohne seinen Sohn aus den Augen zu lassen, wischte Magnus das Angebot fort. Noah ließ sich jedoch nicht beirren und drückte Magnus das Glas in die Hand. »Trink das, Magnus. Du stehst kurz vor einem Kollaps!«
Wie erstarrt blickte Magnus seinen Sohn an.
»Du warst doch nie für sie da, Vater«, hielt Gunnar ihm mit bebender Stimme entgegen. »Du hast dich doch immer nur um deine Geschäfte gekümmert und uns
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