FJORD: Thriller (German Edition)
ihn aber nicht entwischen, und haltet ihn von mir fern!«
Nielson baute sich an der Tür auf, damit Odin nicht fliehen konnte. Das schien dieser allerdings auch nicht vorzuhaben.
Odins Schultern strafften sich. Er drehte sich zu Magnus um. Seine Stimme klang stark und sicher. »Ach ja? Jetzt hältst du mich nicht nur für einen unfähigen Drogenjunkie, sondern auch für einen Mörder?«
Magnus musterte ihn genauer und wandte sich dann an Erika. »Wie kommst du drauf, dass Odin Dahl was mit Livs Tod zu schaffen haben könnte?«
»Sie wollte das Kind nicht austragen, hab ich gehört«, erklärte Erika.
»Sie wollte …« Magnus erstarrte. »Aber warum? Wir hätten uns doch über ein Enkelchen gefreut! Die gute Liv hätte doch keiner Fliege was …«
Die Witwe fiel ihm ins Wort: »Der hier … das ist bestimmt so ein Kurpfuscher! Ein Engelmacher! Sie ist sicherlich zu ihm gegangen, damit er ihr das Kind wegmacht. Und dabei hat er sie umgebracht. Und um das zu vertuschen, hat er ihr unten im Keller der Bäckerei den Schädel eingeschlagen und der Bäcker hat die Leiche dann versteckt. Da wo ihr sie gefunden habt. Und den Schock hat der Sommer sicher nur vorgespielt. Und als man ihm dann auf die Schliche kam, hat er sein Haus angezündet, damit man keine Spuren von dem Mord findet und …«
»Halt verdammt noch mal den Mund!«, schrie Magnus die Witwe an. Er war außer sich vor Zorn. Der Dorftratsch war schon zu normalen Zeiten schwer auszuhalten, doch jetzt hatte wohl eine der chronisch gelangweilten Glucken komplett den Verstand verloren.
Erschrocken hielt sie sich die Hand vor den Mund und drückte sich noch fester an die Wand.
Magnus ging davon aus, dass das meiste, was er gerade hören musste, der überdrehten Fantasie der Witwe entsprang. Sie war bekannt dafür, gut Bescheid zu wissen, insbesondere über die Finanzen der Bürger von Kongesanger – zumindest noch zu Lebzeiten ihres Mannes, dem Bankdirektor. Nicht selten hatten Magnus und zuvor schon sein Vater von diesem Wissen profitiert. Der Auftritt gerade eben und die geäußerten Verdächtigungen waren hingegen letztklassig. Wie aus einem billigen Klatschblatt. Aber selbst die geringste Wahrscheinlichkeit, dem Mörder seiner Tochter gegenüber zu stehen, ließ ihn die Fäuste ballen. Er wandte sich an Odin. »Stimmt auch nur eine einzige Vermutung dieser Person?«
Odin erwiderte den Blick fest, gab ihm aber keine Antwort. Diese Reaktion überraschte Magnus. War tatsächlich etwas dran an der verrückten Geschichte? Hatte Odin etwas mit Livs Tod zu tun?
40
Erik hatte kaum noch Kraft, die Hand zu heben, um dann gegen die Wand zu schlagen. Die Dunkelheit wurde immer öfter von gleißenden, bunten Feuerschlieren durchzogen. Auch seine anderen Sinne schienen ihm einen Streich spielen zu wollen, denn zwischen den Schlägen war ihm, als hörte er das aufgeregte Fiepen eines Nagetiers. Jeder Schlag verursachte fürchterliche Kopfschmerzen. Niemand schien ihn gehört zu haben. Vermutlich ging das Hämmern im allgegenwärtigen Knarzen des Bootes unter.
Er musste etwas tun. Er musste das Kind retten! Aber wie? Ihm fiel nichts mehr ein. Seine Gedanken wurden schwächer, schweiften ab. Er konnte sich nicht mehr konzentrieren. Erinnerungen tauchten an die Oberfläche. Bilder aus seinem Leben. Aus guten und schlechten Tagen. Sein Vater, der ihm die Angelrute zur Konfirmation schenkte. Die er bei sich führte, als er in den Fjord fuhr. Von der er nicht mehr wusste, wo sie war. Wie Blitze schoben sich die grausigen Bilder von Livs totem Körper davor. Hinterließen nur ein flüchtiges Abbild. Zusammenhangslos, wie es ihm schien. Der zerschmetterte Schädel. Die Horrorbilder verliehen ihm Kraft, erneut kräftig gegen die Wand zu schlagen. Vergeblich. Niemand würde ihn hören.
Er dachte an Aurora. Sie hatte nichts getan. Warum sollte sie sterben? Wer dachte sich so etwas Verrücktes aus? Er wurde einfach nicht schlau aus dem Geschehenen. Überhaupt fiel es ihm immer schwerer, einen klaren Gedanken zu fassen. Er wusste nur noch eines: Er musste die Kleine retten. Koste es, was es wolle.
41
Niemand wagte, die eingetretene Stille zu unterbrechen oder Erikas Worten zu glauben. Zu furchtbar wäre es gewesen, hätten sie der Wahrheit entsprochen. Der Tod von Liv war noch nicht annähernd fassbar, kaum realisiert, und nun sah sich Magnus ihrem mutmaßlichen Mörder gegenüber? Er sackte auf den nächstbesten Stuhl. Das war zu viel. Er winkte
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