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Flachskopf

Flachskopf

Titel: Flachskopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Claes
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Frage mußte Locke beantworten, weil sein Gesicht so schrammig war und er noch immer daran rieb. Die zweite Frage, weil sie nur kurz war, bekam der kleine Moritz. Bei der dritten guckte der Lehrer über die Köpfe hinweg, und... Flachskopf fühlte, daß er jetzt drankommen sollte; er beugte sich über sein Pult zu Dries und flüsterte schnell: »Dries, nicht rühren, weißt du! Du kriegst auch eine Birne !« Dries machte eine leise Bewegung... »Du kriegst zweie, dreie...«
    »Verheyden—wieviel leibliche Werke der Barmherzigkeit gibt es ?«
    »Sieben nämlich die Hungrigen speisen die Durstigen tränken die Nackten kleiden die Fremden beherbergen die Kranken besuchen die Gefangenen erlösen die Toten begraben .«
    Er las es flott hintereinander ab, wie auswendig gelernt, die Augen vor sich auf das Pult gerichtet, denn er hatte die vernünftige Angewohnheit, bei einer Antwort nie den Lehrer anzusehen.
    Der Religionsunterricht ging allmählich zu Ende, und jetzt kam die Rechenstunde. Man war gerade bei den »Grundregeln der Bruchrechnung«.
    Der Lehrer schrieb an die Tafel: ¾ x 2 =
    »Verheyden —wieviel ist dreiviertel mal zwei ?« Flachskopf, der neben Mul Tümmer saß und gerade ein Stück Bindfaden gegen einen Soldatenknopf eintauschen wollte, blickte starr auf die drei Zahlen, die dort auf so unnatürliche Weise nebeneinander standen. Zwei mal drei ist sechs, das wußte er, aber was er dann noch mit der Vier machen sollte, das hatte er vergessen. »Dreiviertel mal zwei ist... ist... fünf...«, riet Flachskopf mit zögernder Stimme, indem er verzweifelt den Lehrer anguckte. Dieser schüttelte zornig den Kopf, und Locke mußte die Antwort geben. Locke riet sechs und bekam eine Ohrfeige. Mul und Dries wußten es ebenfalls nicht, und alle vier starrten mit großen runden Augen auf die rätselhaften Zahlen, bewegten die Lippen, als ob sie es im Geiste auszurechnen versuchten, und dachten doch nur an die Ohrfeige, die Locke sich dabei verdient hatte. Als Artur Leunes gesagt hatte, daß es sechs Viertel waren, und der Lehrer ja sagte, da nickten sie sofort zustimmend, als wollten sie Artur recht geben und als hätten sie es im selben Augenblick auch gefunden.
    Dann folgte die Spielpause und nachher vaterländische Geschichtsstunde, die der Anlaß war, daß Dabbe mittags eine halbe Stunde nachsitzen mußte, weil ihm Pipin der Kleine ungenügend bekannt war. Von der Geschichte, die der Lehrer nicht leiden mochte, gingen sie plötzlich zur Erdkunde über, und Tjeef, der Stotterer, mußte dem Lehrer drei feuerspeiende Berge nennen. Tjeef bekam einen roten Kopf, blickte auf die zerrissene Karte an der Wand, von der er nicht das geringste verstand, und stotterte, sich auf die Einflüsterung von Artur Leunes verlassend: »Ve — Vesuvberg... He
    — Heklaberg...« Dann hatte er sich festgefahren. Artur wußte auch nicht weiter. Nun flüsterte Flachskopf ihm etwas zu, und Tjeef stotterte: »...und Ku — Kuckucksberg .« Einzelne Knaben lachten, und Tjeef mußte auch eine halbe Stunde nachsitzen.
    Der Lehrer klappte sein Buch zu, und die Knaben folgten seinem Beispiel. Einen Augenblick saßen sie nun mit auf der Brust gekreuzten Armen still da und warteten, wer wohl vorgehen müßte.
    »Leunes, — Die Grille und die Ameise!«
    Der kleine, zarte Leunes steckte die Füße in seine Holzschuhe, knöpfte seine Jacke zu und putzte sich die Nase, während er nach vorn ging. Die Augen starr auf die Zimmerdecke gerichtet, die Hände auf dem Rande der ersten Bank, vor der er stand, leierte er ohne Unterbrechung mit seiner eintönigen Fistelstimme das Gedicht herunter:
    »Die Grille und die Ameise.
    Eine faule Grille sang
    Einen ganzen Sommer lang
    Und war immer ohne Sorgen...«
    Flachskopf fand, daß die letzte halbe Stunde, in der gesungen und vorgetragen wurde, vom ganzen Schultag die einzige einigermaßen erträgliche war, vorausgesetzt, daß er nicht vor zu kommen brauchte. Dann konnte man einmal ruhig an dieses und jenes denken und doch scheinbar andächtig zuhören. Und während der magere Dierickx dort vor ihnen stand, dachte Flachskopf an ganz andere Dinge als an Grillen und Ameisen. Er blickte durch das Fenster, wo der klare, blaue Sommerhimmel sich so weit und herrlich über die sonnige Welt ausspannte, wo alles jauchzte und jubelte vor sommerlicher Lust. — Draußen auf der Straße rief ein Sandmann sein langgezogenes »Sa—and!«, ein Hahn krähte in weiter Ferne, ein Wagen fuhr schwer und langsam über das Pflaster,

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