Flachskopf
Flachskopf nach Herzenslust verprügeln zu dürfen, und Locke nahm die Gelegenheit wahr, um dem kleinen Moritz sein Tintenfaß über den Kopf zu schütten, als Vergeltung für die Ohrfeige wegen der Bruchrechnung. Der Lehrer schleifte Flachskopf zur Tür, und als beide beim rothaarigen Dries vorbeikamen, wußte dieser noch schnell die Frage anzubringen: »Kannst du sie kauen, Flachskopf? Es sind Butterbirnen !«
Wütend riß der Lehrer die Tür auf, griff Flachskopf energisch beim Kragen und schleppte ihn auf seine Wohnung zu. Unter dem Küchenfenster schob er den Riegel einer niedrigen Tür beiseite, die sich nun von selbst öffnete, und mit einem letzten tüchtigen Fußtritt flog Flachskopf in den Keller. Die Tür wurde wieder zugeschlagen, der Riegel vorgeschoben, und der Lehrer kehrte in die Schule zurück.
Daß Flachskopf sich fast die Lunge aus dem Leibe gebrüllt hatte, braucht wohl nicht erst gesagt zu werden. Er war im Keller Hals über Kopf auf einem Kartoffelhaufen gelandet und blieb liegen, wo er lag. Er schrie mehr vor Wut als vor Schmerz. Dieser Lump, dieser Schinder, — und da soll man nun in die Schule gehn, um gute Manieren zu lernen! Flachskopf hätte ihm mit seinen Nägeln die Haut vom Leibe kratzen mögen. Und Dries bekäme morgen todsicher seine Feder in den Hintern bis aufs Holz. Seinetwegen konnten sie mit all ihren guten Werken und ihrer Gelehrtheit in die Luft fliegen, — er hätte keinen Finger gerührt, um es zu verhindern. Und die eigenen Schulkameraden fingen dann noch an, wahnsinnig zu lachen, wenn man solche grauenhafte Prügel bekam.
Bei diesen Rachegedanken beruhigte sich Flachskopf allmählich. Er richtete sich auf, strich mit seinem Ärmel die letzten Tränen von den Wangen, und mit einem grollenden Zorn im Herzen blickte er sich im Halbdunkel des Kellers um. Ein niedriges Holzgewölbe, das voll Spinnweben hing, vier schmutzige, graue Wände, die früher einmal geweißt worden waren, ein paar rohe Kisten, eine leere Tonne und die Kartoffeln, auf denen Flachskopf saß, — mehr war im Keller nicht zu sehen. Das Licht drang durch ein kleines vergittertes Kellerfenster ein.
Flachskopf gewann allmählich die Überzeugung, daß er hier mehr Ruhe hatte als unter den Augen des groben Lehrers. Die Weisheit, die ihm dabei verloren ging, spielte keine Rolle. Er wünschte nun allen in der Schule eine Tracht Prügel, wie er sie selbst in Empfang genommen hatte.
Er stellte sich endlich vor das kleine Kellerfenster und blickte in den Garten von Jan Tok, wo nichts zu sehen war als ein Misthaufen und ein Beet Welschkraut. Sieh! dort saß Fox, der junge Hund des Lehrers, und spielte ausgelassen mit einem schmutzigen Lappen. Er hielt ihn zwischen den Zähnen und schlug ihn sich so toll um die Ohren, daß er selber dabei erschrak.
»Fox !« rief Flachskopf mit gedämpfter Stimme. Der Hund ließ sein Spielzeug plötzlich liegen, spitzte die Ohren, sah verdutzt zuerst nach der Hecke, die den Garten auf der andern Seite einzäunte, dann in der Richtung nach Flachskopf und schien sich verwundert zu fragen, wer seinen Namen genannt haben mochte. »Fox!« — und Flachskopf steckte seine Hand durch das Gitter. Nun begriff Fox plötzlich und rannte wild auf die ausgestreckte Hand zu, die Flachskopf eiligst zurückzog. »Fox, komm !« sagte er freundlich, und Fox legte die Ohren an den Hals, hielt die Schnauze ans Gitter und guckte mit gespannter Neugierde ins dunkle Kellerloch, wo er bis jetzt noch nie etwas Besonderes wahrgenommen hatte. Als Flachskopf plötzlich sein Gesicht bis dicht an die Schnauze des Hundes schob, erschrak das Tier gewaltig und zog sich ein wenig zurück. Fox schien über alle Maßen erstaunt zu sein; mit vorgeschobenem Kopf und großen runden Augen betrachtete er das lachende fremde Gesicht und wußte nicht, was dieses Gesicht dort hinter den Gitterstäben zu schaffen hatte, und ob er bellen oder beißen sollte. — Flachskopfs freundlich lockende Stimme beruhigte Fox über eine etwaige Leibesgefahr, und so faßte er die Sache als Spaß auf, legte sich lang ausgestreckt auf den Bauch und schob die Vorderpfote zum Gitter hin, um dadurch anzudeuten, daß auch bei ihm keine böse Absicht vorläge und er geneigt sei, nähere Bekanntschaft zu machen. Flachskopf streckte gleichfalls die Hand aus dem Gitter, um Fox heranzulocken; aber als dieser näher kam, machte er plötzlich »Hu !« und brummte ihn fürchterlich an. Fox erschrak gewaltig, sprang auf und zeigte knurrend die
Weitere Kostenlose Bücher