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Flachskopf

Flachskopf

Titel: Flachskopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Claes
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so daß die Fensterscheiben und die schwarzen Hohlmaße an der Wand leise zitterten. Dieses Schulzimmer mit seinen glatten, kahlen Wänden, ohne etwas, worauf das Auge Wohlgefällig ruhen konnte, schien ihm ein Raum außerhalb der Welt, unfreundlich und kalt, nicht zeitgemäß. Die Sonne drang dort nie hinein, die unteren Fensterscheiben waren sogar mit Mattglas versehen, um ja alles auszuschließen, was draußen lebte. Während der Spielpause stand die Tür auf, aber nie war ein Fenster geöffnet worden, und jahraus, jahrein roch es drinnen muffig wie nach nassen Tüchern, die trocknen sollen. Oben an der Decke hingen zahlreiche Spinnweben, schwarz bestäubt, wie schmutzige Lappen, die drangeweht waren. Selbst die Fliegen fanden es hier höchst ungemütlich; die zufällig hineingeraten waren, verbrachten ihre letzten Tage vor den Fensterscheiben, wo sie sehnsüchtig hinausblickten und verzweifelt an dem harten Glas auf und ab liefen, bis sie tot herabfielen. Sie lagen zu Dutzenden auf der hölzernen Fensterbank, in jeder Größe, Mücken, Schmeißfliegen, sogar Wespen und Hummeln. — Sieh, da setzte sich gerade so eine kleine schwarze Fliege auf Flachskopfs Pult; sie blieb eine kleine Weile ruhig sitzen, als müßte sie sich erst erholen, lief bis zu Driesens Rücken, machte sich am Rand des Tintenfasses zu schaffen und kehrte in die Mitte des Pultes zurück; mit den beiden Vorderbeinen fing sie an, über das graue, glänzende Köpfchen zu reiben, als ob es juckte, dann strich sie mit den Hinterbeinen unter und über ihre dünnen Flügel, die sie eng an ihren dunkelgrauen Leib drückte. Wupp! weg war sie, geradeswegs auf das Fenster zu.
    Flachskopfs Gedanken waren weit von der Klasse entfernt, und er hatte nicht bemerkt, daß bereits ein paar andere Jungen die Sparsamkeit der Ameise gelobt und den Leichtsinn der Grille verkündet hatten. Er dachte gerade an den fremden Herrn, dem er am Morgen einen falschen Weg gezeigt hatte, und wollte mittags einmal nachfragen, wie es ihm ergangen war.
    »Flachskopf, wo sind nun die Birnen ?« fragte plötzlich Dries vom Weidenhof im Flüsterton. Er hatte seinen rothaarigen Kopf halb umgedreht und hielt die Hand vor den Mund, damit es der Lehrer nicht hören sollte. Flachskopf erwachte plötzlich zur Wirklichkeit.
    »Halte deine Hand nur unter die Bank«, flüsterte er zurück.
    Dries schob den langen Arm unter die Bank, fast bis an Flachskopfs Sitz; dieser lächelte heimlich, guckte flüchtig, ob der Lehrer nicht hinsah, bückte den Kopf unters Pult, spuckte kräftig in die geöffnete Hand und flüsterte dann: »Es sind Butterbirnen, die brauchst du nicht zu kauen.«
    Dries zog die Hand eiligst zurück, rieb sie an seiner Hose trocken und rückte sich in Positur, um Flachskopf einen tüchtigen Fußtritt zu versetzen. Flachskopf, der beinahe laut aufgelacht hätte, machte sich bereit, den Fußtritt außerhalb seines Bereichs zu halten, als plötzlich die Stimme des Lehrers ertönte:
    »Verheyden, trage du es mal vor, und wenn du’s nicht kannst, schlag ich dich lahm !«
    Das Lahmschlagen war gewiß keine Ermutigung und ließ Flachskopfs Lachlust völlig verschwinden. Er trat aus der Bank, ging nach vorn, und der Lehrer stellte sich hinter seinem Rücken auf. Flachskopf sah noch flüchtig das rote Gesicht und die funkelnden Augen von Dries, der ihn anstarrte wie eine wütende Katze. Die unmittelbare Nähe des Lehrers machte ihn unruhig, und über seinen Rücken lief vom Kopf bis zu den Füßen ein kalter Schauer.
    Mit ziemlich fester Stimme fing er an:
    »Die Grille und die Ameise.
    Eine faule Grille sang
    Einen ganzen Sommer lang
    Und war... war... und war...«
    »Von vorn !« klang es scharf und drohend hinter ihm, und Flachskopf fing wieder von vorn an, zwei Töne tiefer, und spürte ein Jucken in den Schultern.
    »Die Grille und die Ameise.
    Eine faule Grille sang
    Einen ganzen Sommer lang
    Und war... auch täglich...
    Und war, als der Winter kam...«
    Er schwieg, ängstlich, wollte sich einmal flüchtig Umsehen, aber patsch! er bekam eine so gewaltige Ohrfeige auf die linke Backe, daß er fast zu Boden taumelte und eine zweite von derselben Wucht nötig war, um ihm sein Gleichgewicht wiederzugeben. Und der Lehrer, ein echter Schinder, versetzte ihm ununterbrochen Schläge und Fußtritte, wo er nur treffen konnte, indem er ihn wütend anschnauzte: »Ich werde dich schon klein kriegen, Bengel !« Die Kameraden lachten aus vollem Halse, als hätten sie selbst den Genuß,

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