Flachskopf
dem Pfarrer zu sagen, daß du von Herrn Boon vier Groschen geschenkt bekommen hast !« Worauf Flachskopf mit einem kurzen und kräftigen »Verrecke !« antwortete.
Auf dem kleinen Platz vor der Kirche fand er seine Kameraden. Sie halfen sich gegenseitig bei der Gewissenserforschung: sovielmal Schwimmen gegangen, sovielmal geflucht, Vogelnester ausgeraubt, in der Kirche gelacht; Bahnhofsvorstehers Moritz saß heulend auf einem Stein, weil Fompe ihm den Zettel weggenommen, auf dem der brave Junge seine Sünden aufgezeichnet hatte. Dabbe saß rittlings auf der Kirchhofsmauer , von wo aus er die Mädchen auf dem Spielplatz der Schwesternschule sehen konnte.
»Dabbe, was willst du beichten ?« fragte Flachskopf.
»Das weiß ich noch nicht«, antwortete Dabbe, der noch nicht näher darüber nachgedacht hatte.
»Zu wem gehst du ?«
»Zum Vikar, der versteht kaum, was man sagt — und der Pfarrer kommt nicht .«
Sie sahen den Vikar in die Sakristei gehen, die Kirchentür wurde geöffnet, und sie strömten hinein, drängend und stoßend, um sich auf den ersten Platz zu setzen. Vor jeder Seitentür des Beichtstuhles stand eine Reihe Stühle; und als sie nach einigem Gepolter still saßen, kam der Vikar aus der Sakristei und trat in den Beichtstuhl.
Flachskopf saß auf dem ersten Platz. Er hatte Fopke Naets von dem Stuhl werfen müssen, um das zu erreichen, aber er saß nun wenigstens da und würde als erster draußen sein. Aber gerade, als er in den Beichtstuhl gehen wollte, schlich Petik, der auf dem dritten Platz gesessen hatte, hinter seinem Rücken hinein und grinste ihn schadenfroh an. Flachskopf wurde rot bis ins Haar vor verhaltener Wut; er wagte aber nichts zu tun, weil der Vikar den Vorhang noch nicht zugezogen hatte und ihn sitzen sah. Sobald das aber geschehen war, bekam Petik einen Fußtritt, daß er mit dem Kopf gegen die Holzwand schlug. Der Lärm ließ sie beide einen Augenblick mäuschenstill sitzen, aber der Vikar war noch nicht fertig, und Petik gab vom Beichtstuhl aus den Tritt zurück und traf Flachskopfs Stuhl, der umfiel.
Der Schieber wurde geöffnet, der Vikar legte sein Gesicht ans Gitter und fragte so laut, daß Flachskopf es hören konnte: »Was hast du gesündigt, mein lieber Junge ?«
Petik, der in diesem Augenblick mehr mit Flachskopf als mit seinen Sünden beschäftigt war, antwortete vor lauter Schrecken ebenso laut: »Geflucht !« und guckte sich sofort wieder nach Flachskopf um, ob er noch einen Fußtritt wagen würde. — Flachskopf zögerte.
»Und wie hast du geflucht, mein lieber Junge ?« fragte die ruhige Stimme wieder. Die Frage lenkte Petiks Aufmerksamkeit mehr auf den Beichtvater, aber die Antwort schien ihm sehr beängstigend. Sollte er die Flüche einfach so hersagen? Flachskopf war schuld daran, daß er dieses Bekenntnis ausgesprochen hatte; er hatte es in der Eile getan, ohne zu überlegen, ob es auch richtig wäre. Er biß sich auf die Lippen, dachte flüchtig an die täglichen Flüche seines Vaters und schwieg.
In der Kirche war es einen Augenblick ganz still. Sie hörten, wie der Vikar hinter dem Vorhang eine Prise nahm, Fopke Naets fiel ein Holzschuh vom Fuß, und es klang laut und lange im leeren Kirchenraum.
»Wie hast du geflucht ?« klang es etwas ungeduldiger. Alle hatten es gehört und horchten neugierig und grinsend, indem sie den Kopf etwas näher hielten; aber bevor Petik Zeit gehabt hatte, die »Zahl und die notwendigen Umstände« anzugeben, steckte Flachskopf sein Gesicht neben das von Petik und flüsterte schnell durch das Gitter: »Herrgott verdammich malefiz —alles tausendmal — Petik Lange...«
»Ist nicht wahr, Herr Vikar !« rief Petik, sprang auf und versetzte Flachskopf einen Kinnhaken. Bevor sich dieser zurückziehen konnte, sprang die Tür auf, und der Vikar hatte ihn beim Kragen. Da erhielt er vor allen seinen Kameraden, die sehr in die Erforschung ihres Gewissens vertieft schienen, eine Lossprechung mit Buße, die zweifellos in den Augen des Herrn genügt hätte, um die schlimmsten Missetaten zu tilgen.
Flachskopf verließ heulend, mit beiden Händen vor den Augen, die Kirche, blieb im Portal stehen, bis er sich ausgeweint hatte, und setzte sich dann draußen auf die Kirchhofsmauer, um Petik aufzulauern. Dieser trat ein paar Minuten später aus der Kirche; aber als Flachskopf auf ihn zugesprungen kam, nahm er Reißaus, und beide kamen keuchend und schwitzend auf dem Spielplatz an, wo der Lehrer die Zeitung las.
Eine halbe Stunde später
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