Flachskopf
saßen alle wieder im Schulzimmer, blickten andächtig auf die schwarze Tafel und hörten dem Lehrer mit großer Aufmerksamkeit zu. Die ersten zehn Minuten waren sie ziemlich still und fleißig, weil sie am Morgen in der Beichte den guten Vorsatz gefaßt hatten, »ihr Leben zu bessern«, und weil heute nur bis elf Uhr Schule war und sie den freien Nachmittag nicht aufs Spiel setzen wollten. Sie schienen ernsthaft damit beschäftigt, die Aufgaben an der schwarzen Tafel zu lösen, und wußten, daß sie die Lösung nicht vor elf Uhr finden würden. Hinter seinem Pult brachte der Lehrer eine Angelschnur für den Nachmittag in Ordnung. Fompe lenkte plötzlich die Aufmerksamkeit der ganzen Klasse auf sich. Er hatte seinen Strumpf ausgezogen, das Bein ins Pult gezwängt und aus dem Loch, in das das Tintenfaß gehörte, guckten zwei schwarze Zehen, die Fompe dort lustig spielen ließ. Auf dem Pult vollführte er mit seinem Finger allerlei drollige Bewegungen zu den Zehen hin, gerade als wollten Finger und Zehen sich necken. In dieser drückenden Stille wirkte das so ansteckend auf die Lachmuskeln der Knaben, daß ein verhaltenes Kichern durch den Schulraum rauschte und alle Köpfe sich nach Fompe wandten. Sogar welche von der unteren Abteilung konnten es sehen. Tjeef mußte so lachen, daß er sich verschluckte und so gewaltig zu husten anfing, daß er den Kopf unter das Pult stecken mußte.
Der Lehrer wurde endlich aufmerksam, blickte wie von selbst zu Fompe hinüber und rief wütend mit drohend erhobenem Finger:
»Fompe, wenn die dreckige Zehe nicht innerhalb fünf Minuten aus dem Loch verschwindet, reiße ich dir die Ohren ab .«
Die Jungen lachten aus vollem Halse. Fompe fühlte sich als Held der ganzen Klasse und war der Meinung, daß diese »fünf Minuten« ihm noch einen Augenblick gestatteten, sein Spiel fortzusetzen. Da warf ihm der Lehrer sein Buch an den Kopf, traf aber nicht Fompe, sondern Mul Tümmer, der vor ihm saß, gerade ins Gesicht. Mul sprang erschrocken auf und war so ungehalten, daß er sich umdrehte und wütend mit der Faust auf Fompes Zehe schlug. Fompe schrie vor Schmerz auf, zog das Bein eiligst zurück und heulte, daß seine Zehe gebrochen sei. Die ganze Klasse war nun so aufgeregt, daß der Lehrer zwischen den Bänken hindurchgehen und links und rechts ein paar Ohrfeigen austeilen mußte. Das lenkte die Aufmerksamkeit wieder auf die Aufgaben, und der Lehrer stellte sich wieder hinter sein Pult.
Um elf Uhr wurden sie entlassen, mit der Ermahnung, sofort nach Hause zu gehen. Auf der Straße versuchten Locke und Dabbe Flachskopf dafür zu gewinnen, daß er mit ihnen noch vor dem Mittagessen schwimmen gehen sollte, aber Flachskopf hatte keine Lust und trollte allein nach Hause.
Vor der Brücke an der kleinen Demer blieb er stehen. An der Wassermühle, neben der Brücke, war man damit beschäftigt, an einem langen Seil, das oben am Speicher über eine Zugrolle lief, Getreidesäcke hinaufzuziehen. Flachskopf hatte seinen Spaß daran, zu sehen, wie die schweren vollen Säcke mit Schwung und scheinbar ohne Mühe hochgezogen wurden, während doch ein kleiner Junge genügte, um oben auf dem Speicher das große Rad zu drehen, mit dem das Seil über die Zugrolle gezogen wurde. Sobald der Sack am offenen Speicherfenster erschien, zog ihn Dorus, der Müller, herein und löste das Seil, das dann wieder hinunterbammelte. Fox Oomes stand unten, befestigte einen neuen Sack daran, trat ein paar Schritte zurück und rief hinauf: »Hupp !« Da ging der Sack wieder in die Höhe. Fox war nicht Flachskopfs Freund. Er hatte ihn einmal zu Hause in der Scheune in einen Sack gesteckt und ihn über den Dreschern an einem Querbalken aufgehängt. Eine Stunde lang hatte Flachskopf Wasser und Blut geschwitzt vor Angst, daß ihn die Dreschflegel treffen könnten.
»He! Flachskopf ,« rief Fox plötzlich, »komm mal her, ich werde dich mal hinaufziehen lassen!«
»Nee ,« antwortete Flachskopf, »aber das Rad auf dem Speicher drehen, das will ich schon.«
»Da ist schon jemand«, sagte Fox.
Flachskopf kam näher heran.
»Fox, soll ich ,Hupp !’ rufen, wenn der Sack hochgezogen werden muß?«
»Ja ,« sagte Fox, »stell dich dorthin, und wenn ich ,Los’ sage, dann rufst du!«
Das ging ein paarmal ganz gut. Fox befestigte das Seil mit einem Knoten am Kopf des Sackes, und der kleine eiserne Haken mußte verhüten, daß er sich löste. Flachskopf rief, so laut er konnte: »Hupp !« und folgte dem Sack mit den Augen, bis er
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