Flachskopf
schrak er zusammen... Drei Reihen vor ihm bemerkte er einen rötlichen Kahlkopf! ... Aber nein, es war ein Herr, und auf dem Stuhl, auf dem er kniete, lag ein Hut. Flachskopf atmete erleichtert auf. Indem er auf diese Glatze guckte, dachte er unwillkürlich, wie es dem Bauer, dessen Mütze unter seiner Joppe stak, wohl ergehen würde. Er wurde im Zuge gewiß tüchtig ausgelacht. Er wird mindestens ebenso lächerlich ausgesehen haben wie er mit der großen Mütze. Flachskopf konnte sich das ganz deutlich vorstellen! ... Er hatte Lust, laut zu lachen.
»Hör mal«, stieß er Nele an.
»Was ist ?« fragte dieser leise.
»Gucke mal dort, was für eine Glatze! ...«
Nele suchte einen Augenblick und sah sie dann auch. »Die sieht genau so aus wie der nackte Popo eines Kindes«, flüsterte Flachskopf, und Nele mußte schnell seine beiden Fäuste vor den Mund halten, um nicht loszuplatzen.
Oben, im höchsten Kirchenschiff, zwitscherte plötzlich ein Vogel. Flachskopf guckte hinauf und sah einen Spatz, der vom Hochaltar nach der Empore hin und her flog. Seine Augen folgten gespannt jeder Bewegung des Vogels, und er hatte auf einmal die Empfindung, daß hier nicht alles ganz fremd war...
Plötzlich war der Vogel nicht mehr zu sehen... Und während Flachskopf noch ab und zu nach oben sah, bemerkte er unmittelbar über seinem Kopf einen Engel, der mit ausgebreiteten Flügeln an einem Pfeiler hing und in tiefer Verehrung zum heiligen Petrus aufblickte, der darüber am selben Pfeiler auf einem Sockel stand und mit frommer Andacht den heiligen Antonius zu betrachten schien, der drüben an einem anderen Pfeiler mit ebenso verzückten Blicken zum heiligen Petrus herübersah.
Das war an sich nichts Außergewöhnliches, aber der Engel über seinem Kopf hatte ein Bein verloren; der Gips war abgebröckelt, und neben dem rundlichen Beinchen stach aus dem Engelkörper eine schwarze, eiserne Stange hervor.
Flachskopf schob den Ellbogen über die Stuhllehne und stieß gegen Neles Arm.
»Gucke mal den Hinkefuß an! ... Das ist gewiß ein Engel, der aus dem Himmel gefallen ist...«
Nele folgte Flachskopfs Blick, und als er den Engel sah, quiekte er plötzlich so laut, daß alle Leute vor ihm sich umguckten. Neles Vater gab seinem Sohn, über Flachskopf hinweg, einen Stoß, und Flachskopf bewegte die Lippen, als bäte er den Herrn um Verzeihung für alle seine früheren Missetaten.
Nach der Messe gingen die beiden anderen ihres Weges, und Flachskopf begab sich mit seinem Vater zu Polleke Voets, um eine Mütze zu kaufen. Als sie hinkamen, tat Polleke, ein kleiner dicker Kerl mit rotem Gesicht und einem Doppelkinn, als wäre er Vaters bester Freund, und fragte, wie es der »Frau Gemahlin« ginge. Dann sah er Flachskopf, der die große Mütze nach der Messe nicht wieder aufgesetzt hatte, freundlich an und sagte: »Für dich habe ich hier eine feine Mütze .« — Und ohne lange zu suchen, setzte er ihm eine nagelneue Mütze auf den Kopf, mit einem steifen, lackierten Schild und einer Goldborte, genau so, wie Flachskopf sie sich gewünscht hatte.
»Das ist gerade, was er braucht«, sagte Polleke Voets. Flachskopf war rot vor Stolz; die wäre noch schöner, meinte er, als Fompes neue Mütze.
»Sie paßt ganz genau«, sagte er sofort.
»Was kostet sie ?« fragte der Vater vorsichtig, weniger entschlossen als sein Sohn.
»Zwei Franken, weil Sie es sind ,« sagte Polleke mit der ehrlichsten Miene von der Welt, »es sind alles Mützen, die zwei und einen halben Franken kosten...«
»Fünfundzwanzig Centimes müssen Sie noch ablassen«, sagte der Vater.
»Nein ,« sagte der andere, »denn dann käme ich nicht auf meine Rechnung... aber ein Glas Bier will ich noch drauflegen.« Und bevor der Vater bezahlt hatte, erhielt er von Polleke fünf Cent. Der Vater zahlte nun zwei Franken. Polleke sagte noch: »Empfehle mich Ihrer Frau Gemahlin«, und sie verließen den Laden.
Auf der Straße zählte der Vater nach, was ihm vom Reisegeld noch übrigblieb.
»Vater,« sagte Flachskopf, der nun eine große Dankbarkeit in sich fühlte und die Ballonmütze, die immer noch unter seiner zugeknöpften Joppe verborgen stak, fast völlig vergessen hatte, »Vater, ich werde der Mutter sagen, daß sie drei Franken gekostet hat, hörst du!« Der Vater guckte ihn von der Seite schmunzelnd und halb lächelnd an, sagte weder ja noch nein und erwähnte die andere Mütze auch nicht mehr.
Im »Gasthof zum Kayser« trafen sie Nele und dessen Vater wieder, und Nele
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