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Flachskopf

Flachskopf

Titel: Flachskopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Claes
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Generationen, ein Globus, der mitten in Asien eine große Beule und einen weißen Kalkfleck aufwies, zwei Schreibpulte aufeinandergestellt, ein paar Ofenrohre, zerbrochene Schiefertafeln und noch allerlei altes Gerümpel aus der Schule. Durch das kleine Fenster über der Doppeltür, die auf die Breite Straße führte, fiel trübes Licht herein. Es roch hier dumpfig, und es war bedeutend kühler als im Schulraum.
    Ein großer Bücherschrank bedeckte die hintere Wand dieser Kammer; das war nämlich die Gemeindebibliothek von Sichem. Noch nie hatte Flachskopf so viel Bücher beisammen gesehen. Er konnte sie aber gut erkennen. Im Winter ließ sein Vater hier auch Bücher holen, aber Flachskopf hatte stets die Finger davon lassen müssen. Jungen in seinem Alter, meinte der Vater, hätten nur dafür zu sorgen, daß sie im Katechismus Bescheid wüßten.
    Nachdem Flachskopf von den drei untersten Reihen sämtliche Titel gelesen hatte, die in goldenen Buchstaben auf dem Rücken jedes Bandes gedruckt waren, zog er eins davon heraus, dessen Titel ihm mehr zu sagen schien als die andern: »Der Löwe von Flandern«. Das Wort »Löwe« machte stets auf Flachskopf einen tiefen Eindruck.
    Flachskopf hatte sich in dieser stillen, kühlen Rumpelkammer auf einen Stoß alter Schulbücher gesetzt und angefangen zu lesen. Er las, ohne aufzugucken, mit glühendheißem Kopf und vergaß Zeit und Stunde. Als das Gepolter im Schulraum daneben ihm anzeigte, daß es vier Uhr war, und er ebenfalls hörte, daß der Lehrer die Schule verließ, schob er das Buch unter seine Joppe, öffnete vorsichtig die Tür, schlich sich auf die Straße und lief in einem Atem bis in die Nähe seiner elterlichen Wohnung. Dort legte sich Flachskopf in ein Getreidefeld und las weiter, bis es dunkel wurde und er nach Hause mußte.
    Das Zanken und Schimpfen um sein spätes Nachhausekommen ließ ihn diesmal völlig kalt. Seine Gedanken waren weit weg, bei dem Buch, das er im Kornfeld versteckt hatte, und nach dem Abendessen ging er sofort ins Bett, um im Dunkeln von Flanderns Helden zu träumen.
    Vier Tage hintereinander, darunter einen ganzen Sonntag, verbrachte Flachskopf jede Minute, wenn er nicht zu Hause, in der Schule oder in der Kirche sein mußte, in seinem Schlupfwinkel und las. Hier war er von der ganzen Welt abgesondert, die Sonne stand strahlend am Firmament, das goldgelbe Korn rauschte leise, und es war wie ein fernes, fernes Tönen aus einer wunderbaren Welt, wie die Stimmen vergangener Heldengeschlechter. Andächtig lauschte er den geheimnisvollen Geräuschen um sich, er glaubte, das dumpfe Dröhnen stürmender Rosse zu hören, die hallenden Heldenstimmen und die schweren Schläge der kämpfenden Reiter... Dann hob er den Blick zum hohen blauen Himmel, der sich wie eine unendliche Kuppel über das Land wölbte, und er sah alles, alles so geschehen, wie es gewesen war, und er war dabei...
    Er fühlte vom Liegen oder Sitzen keinen Schmerz im Rücken oder in den Schultern.
    Und als das Buch zu Ende war, lag Flachskopf noch eine lange Weile ausgestreckt auf dem Rücken im Korn und starrte träumend zum blauen Himmel empor. Da überfiel ihn plötzlich eine so unaussprechliche Traurigkeit, wie er sie nie gekannt hatte, er fühlte sich mit einem Mal so grenzenlos unglücklich, ohne zu wissen, warum; ihm war, als hätte ihn etwas unvergleichlich Schönes berührt, das nun für immer dahin sei... Und da fiel ihm plötzlich ein, wie tief er Adam und Eva bemitleidet hatte, als er zum ersten Mal davon las, wie sie aus dem Paradies vertrieben wurden.
    Aber als er wieder aufgestanden war und das Kornfeld verlassen hatte, da fühlte er seine jungen Glieder und die Sommersonne, die an seinem Hals und auf seinen Händen brannte. Da wurde er wieder Flachskopf, und Robrecht von Bethune, Breydel und De Coninck gewannen die Oberhand.
    Und je mehr Flachskopf an sie dachte, um so gewaltiger erhob sich der Sturm in seinem Innern.
    Er hätte kämpfen mögen, und wäre es gegen einen Baum. Er hatte Lust, seinen Kopf als Sturmbock zu benutzen, um gegen irgend etwas damit Sturm zu laufen, irgend jemand damit umzureißen. Da niemand in der Nähe war, lief er mit den Armen in der Luft nach Hause und schrie: »Heil Gent! Hier ist Jan Borluut!« oder irgendeinen anderen Kampfruf des herrlichen Buches. Er zog einen Sparren aus dem Holzstoß, setzte sich in den Schuppen und fing an zu arbeiten. Es war warm, und nachdem er eine Weile geschnippelt hatte, zog er seine Joppe aus. Dabei

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