Flachskopf
hatte neben sich auf der Bank eine runde Hutschachtel stehen.
»Ich habe für meine Frau eine Mütze gekauft ,« sagte Neles Vater, »sie muß am Sonnabend zu einer Hochzeit gehen.«
Der Vater zündete seine Pfeife an und bestellte wieder ein Glas Diester Bier, und jetzt fand Flachskopf es so ausgezeichnet, daß er sich die Lippen ableckte. Er saß auf der Bank neben Nele, die Hutschachtel zwischen beiden. Nele ließ kein Auge von Flachskopfs schöner Mütze.
»Wo hast du nun die große Mütze von vorhin ?« fragte er.
»Unter meiner Joppe«, antwortete Flachskopf ganz leise, um Vaters Aufmerksamkeit nicht wieder darauf zu lenken.
»Diese ist viel schöner«, sagte Nele voll Bewunderung. »Das ist ganz was anderes, als so ‘n Hütchen, was ?«
»Ja, aber du hast doch immerhin bloß eine Mütze, und ich habe einen Hut...«
Sie aßen noch jeder zwei Rosinenkuchen und machten sich dann wieder auf den Weg zum Bahnhof. Da sie bis zur Abfahrt des Zuges reichlich Zeit hatten, wurden noch etliche Kneipen besucht und ebensoviel Gläser Diester Bier getrunken. Die beiden Väter fanden immer mehr Gesprächsstoff und kümmerten sich nicht mehr um die Jungen. Flachskopf fing an, sich zu überlegen, wie er die Ballonmütze loswerden könnte. Sie irgendwo wegwerfen, konnte Neles Argwohn wecken, und wenn er sie fallen ließ, könnte sie jemand aufheben und wiederbringen. Nein, es durfte niemand sehen.
Nele hatte seine Not mit der runden Hutschachtel, die ihm immer an die Beine schlug.
»Soll ich sie mal eine Weile tragen ?« fragte Flachskopf gefällig.
Nele überließ sie ihm gern.
Im letzten Laden, bevor sie an den Bahnhof kamen, holte sich Nele schnell noch Zuckerplätzchen.
Als er zurückkam, hatte Flachskopf für die Mütze eine Lösung gefunden.
»Sag mal, Neleke ,« fragte er, »was gibst du für die Mütze?« Und behutsam zog er sie unter seiner Joppe hervor.
Nele hatte an dieses Geschäft nicht gedacht. Er betrachtete sie, dachte, daß sein Vater sie wochentags noch sehr gut tragen könnte, und sagte:
»Ich gebe einen Cent und zwei Zuckerplätzchen .«
»Dafür kannst du sie haben«, willigte Flachskopf ein. Nele übergab ihm den Cent und die zwei Plätzchen, und sie schoben die Mütze in die Schachtel.
Die Rückfahrt nach Sichem verlief ruhiger. Wie ein treuer Kamerad sorgte Flachskopf für die Schachtel seines Freundes, hatte sie auf die Bank neben sich gestellt und ließ besorgt den Arm darauf ruhen. Für diese echte Freundschaft bekam er von Neles Vater zwei Cent, und Nele bekam auch etwas von Flachskopfs Vater.
Als sie in Sichem aus dem Zug stiegen, blickte Flachskopf scheu um sich, ob der Bauer mit der Glatze sich nicht etwa blicken ließe. Nein, alles war ruhig.
Sobald sie den Bahnhof verlassen hatten, übergab er Nele sofort die Schachtel, und ohne sich um seinen Vater oder die anderen zu kümmern, lief er nach Hause.
Hier war er auf eigenem Boden.
Flachskopf und der »Löwe von Flandern«
D ie Knaben aus der ersten Klasse übten gerade ihre Geisteskräfte an der Lösung einer mathematischen Aufgabe, die auf der schwarzen Tafel geschrieben stand: was ein Kaufmann an soundso viel Doppelzentner Getreide verdienen würde, wenn er die eine Hälfte für den Preis und die andere Hälfte für den Preis verkaufte, wenn dies noch hinzugezählt und das noch abgezogen werden mußte, kurz, mit allen Schwierigkeiten, die geeignet erschienen, um die Jugend mit den Geheimnissen der Rechenkunde vertraut zu machen. Der Lehrer saß schläfrig auf seinem Stuhl vor den Bänken der unteren Klasse, wo fleißig »schriftliche Übungen in der Muttersprache« gemacht wurden. Alle waren also beschäftigt, und der Lehrer genoß eine beglückende Ruhe.
Die schwüle Wärme des Sommernachmittags hing drückend im Schulraum. Die Sonne warf ihre vollen Strahlen durch die Fenster, und die Jungen durften sich einen Platz suchen, der im Schatten lag.
Alle waren ebenso schläfrig wie der Lehrer, und weder die Rechenaufgabe noch die schriftlichen Übungen in der Muttersprache konnten die Aufmerksamkeit der Schüler fesseln. Es war fast vollkommen still. Ab und zu das Klappern eines Holzschuhes, das Verschieben einer Schiefertafel oder das piepsende Kratzen der Griffel. Vor Flachskopf saßen Dries und Fompe. Fompe schrieb die Lösung der Aufgabe von Artur Leunes ab, der vor ihm saß, und Dries wartete gähnend, bis Fompe fertig war, um sie dann von ihm abzuschreiben. Zuletzt sollte Flachskopf sie von Dries bekommen.
Die Sonne
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