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Flagge im Sturm

Titel: Flagge im Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirinda Jarrett
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ihn beugte und ihm die kleine Pistole unter der Weste herauszog.
    „Ihr wisst, Mistress Allyn ist sowohl eine Dame als auch eine Quäkerin, van Vere.“ Vorsichtig hielt er die Pistole zwischen Daumen und Zeigefinger fest und ließ sie leicht hin-und herschwingen. Da keiner der anderen Holländer ihrem Kapitän zur Hilfe gekommen war, setzte er darauf, dass van Vere als Einziger von ihnen bewaffnet gewesen war. „Sie lehnt Feuerwaffen auf ihrem Grund und Boden ab. Und was das andere betrifft - ich fürchte, Euer Preis ist soeben auf dreißig Guineen gefallen, als Strafe für die üble Nachrede zu Lasten einer unbescholtenen Dame.“
    Mit gesenktem Kopf und hämmerndem Herzen zählte sich Demaris dreißig Guineen in die Hand und übergab sie Jonathan. Zwar hatte sie van Vere noch nie gemocht, doch sie hatte ihn auch nie verdächtigt, ihr Schaden zufügen zu wollen, und der Anblick seiner versteckten Pistole hatte sie mehr frieren lassen als der kalte Wind.
    Sie mochte sich gar nicht ausdenken, was möglicherweise geschehen wäre, wenn Jonathan nicht darauf bestanden hätte, sie zu begleiten, oder wenn er jetzt nicht so schnell reagiert hätte. Vielleicht war Eben in einer ähnlichen Situation ums Leben gekommen. Plötzlich sah sie Jonathan steif und kalt daliegen, und sie versuchte, diese schreckliche Vorstellung aus ihrem Kopf zu vertreiben.
    Jonathan stieß van Vere mit der Stiefelspitze an. Der Kapitän stöhnte. Jonathan schüttelte verächtlich den Kopf, beugte sich nieder und stopfte die schweren Münzen in die Taschen des Mannes.
    „Nächstes Mal liefert Ihr, was die Dame verlangt, und nicht das, was andere Leute übrig gelassen haben. Und nächstes Mal behaltet Ihr Euer Gewäsch und Eure Lügen für Euch und benehmt Euch ordentlich in Gegenwart dieser Dame. Wenn nicht, werdet Ihr es wieder mit mir zu tun bekommen.“
    Sobald Jonathan zurückgetreten war und sich neben Dem-aris gestellt hatte, sprangen zwei Seeleute zu van Vere, zogen den Stöhnenden auf die Beine und schleiften ihn zum Beiboot der Ketsch zurück. Die hin- und herschwingende Pistole noch zwischen Daumen und Zeigefinger, schaute Jonathan ihnen nach und pfiff dabei leise ein militärisches Trompetensignal zum geordneten Rückzug.
    „Woher wusstet Ihr denn, dass der Käpt’n ein Schießeisen bei sich hatte, Master Sparhawk?“, fragte Daniel bewundernd, und Demaris stellte fest, dass Jonathan innerhalb von zehn Minuten in den Augen ihrer Pächter zum „Master“ aufgestiegen war. „Wie konntet Ihr ahnen, dass das Ding nicht geladen war und dass er nicht auf Euch schießen würde?“ „Ich habe es nicht gewusst“, antwortete Jonathan schlicht. Er vergewisserte sich, dass sich das Boot nicht mehr in Schussweite befand, schwang die Pistole in seiner Hand hoch und umfasste den polierten Kolben. In Spanien gefertigt, schätzte er, gut ausbalanciert und mit gezogenem Lauf. So eine Waffe würde van Vere schmerzlich vermissen.
    In einer einzigen Bewegung hob und streckte Jonathan den Arm, zielte auf einen etwa fünfzig Schritt entfernten Kiefernast und feuerte. Der Ast zerbarst und fiel zu Boden. Draußen auf dem Wasser legten sich die Männer kräftiger in die Riemen, weil sie annahmen, der Schuss hätte ihnen gegolten, und die beiden Pferde machten einen Satz neben der Deichsel, weil sie offenbar dasselbe fürchteten.
    Jonathan konnte nicht anders, er musste die Männer von Nantasket angrinsen, die ihn jetzt mit einem geradezu ehrfürchtigen Blick betrachteten. Sein Lächeln erstarb jedoch, als er Demaris’ erstarrten Gesichtsausdruck sah. Sie hielt die Arme fest vor der Brust verschränkt.
    „Wenn Ihr Eure Vorstellung abgeschlossen habt, Jonathan“, bemerkte sie, „dann würde ich gern das Fuhrwerk entladen und nach Haus gehen.“
    Zu Jonathans Verwunderung setzte sie sich nicht nach vorn neben Caleb und Asa auf die Kutschbank, sondern stieg nach hinten zu ihm auf die Ladefläche. Mit hochgezogenen Beinen lehnte sie sich mit dem Rücken gegen die harte Seitenwand des Wagens.
    Jonathan wünschte fast, sie hätte sich anders entschieden. Nachdem sich seine Anspannung und der Triumph über van
    Vere gelegt hatten, war er müde, todmüde, und außerdem schmerzte sein Bein höllisch, während der Wagen über den holperigen Feldweg rumpelte. Ein Blick auf Demaris’ steifen Rücken sagte ihm, dass er das, was immer sie demnächst äußern würde, lieber gar nicht hören wollte.
    „Jonathan.“ Ihre Stimme klang sanfter, als er erwartet hatte.

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