Flagge im Sturm
bevor er sie daran hindern konnte.
Er schaute ihr hinterher, wie sie zum Haus lief. Ihre weißen Strümpfe leuchteten hell unter den dunklen Röcken hervor. Noch immer konnte er ihren hauchleichten Kuss auf seinen Lippen fühlen. Ob sie jetzt wohl erwartete, dass er ihr folgte?
Sie hatte recht, er brauchte sie tatsächlich, mehr als er je eine Frau zuvor gebraucht hatte, und diese Tatsache ängstigte ihn mehr als jede Waffe. Großer Gott, was taten sie sich nur gegenseitig an?
Kalt wehte ihm der Regen ins Gesicht. Die Tropfen schmeckten nach der salzigen Gischt. Jonathan schlug den Kragen hoch, kletterte ungelenk vom Fuhrwerk und half dann Caleb und Asa beim Abschirren der Pferde.
Roger ging neben dem alten Simon Willet her die King’s Wharf hinunter. Dass sie so langsam vorankamen, störte ihn nicht im Mindesten. Wenn sie das Ende des Kais erreicht hatten, würde sich ein Gutteil von Willets Gold in seinen eigenen Taschen befinden.
„Ihr sagtet, Eure ,Wisdom“ wird am Freitag nach Surinam in See stechen“, setzte Roger die Unterhaltung freundlich fort.
„Vierzehn Hengste und Stuten, Hafer, Mais und Heu, alles für die Zuckerplantagen. Wirklich eine gute Ladung, Willet. Euer Profit daraus wird recht annehmbar sein. “
Willet brummte etwas und rückte seinen Hut zurecht. Die breite Krempe war hochgerollt, eine Fasson, die die älteren Quäker bevorzugten. „Ihr wisst auf den Schilling genau, was für mich übrig bleiben wird, Allyn. Was kostet es mich diesmal, Euer Wissen zu ändern?“
„Vier Prozent würden mich ausgesprochen vergesslich machen“, antwortete Roger lächelnd. Nach drei Regentagen war dieser Morgen klar und mild, so wie es im April auch sein sollte, und die Sonne schien den Spaziergängern warm auf den Rücken.
„Das wäre ein halbes Prozent mehr als bei der letzten Reise“, murrte Willet. „Ihr werdet gieriger als diese heidnischen Agenten in Saint Christopher.“
„Und Ihr verdreifacht die Differenz, wenn Eure Pferde auf den Markt kommen“, entgegnete Roger. Er kannte die Klagen der Kaufleute in Newport zur Genüge. Wenn diese von ihm erwarteten, dass er gewisse Abänderungen in ihren Schiffspapieren und Ladescheinen vornahm, dann erwartete er auch von ihnen, dass sie ihn an ihren Gewinnen beteiligten.
Selbstverständlich hatte er auch Verständnis dafür, dass sie sich sträubten, und deshalb war er immer zu ein paar Vergünstigungen bereit, um sich bei ihnen nicht unbeliebt zu machen. Er klopfte Willet jovial auf die Schulter. „Um die Fahrt für Euren Schiffsführer leichter zu machen, werde ich dafür sorgen, dass die Anklage gegen die drei Matrosen der , Wisdom' noch rechtzeitig vor der Abreise niedergeschlagen wird. “
„Alle drei sind Trunkenbolde und Nichtsnutze“, knurrte Willet ärgerlich. „Sie sind in der Gefängniszelle wesentlich besser aufgehoben als auf meinem Schiff. “
„Sie sind alle drei erfahrene und gute junge Seeleute. Ihr wisst selbst, dass Euer Kapitän mir die ganze Woche lang die Tür eingerannt und darum gebettelt hat, dass ich die Männer wieder freilasse.“
Willet lächelte so gut es mit einem Mund ging, in dem nur noch ein halbes Dutzend Zähne verblieben waren. „Vor Euch ist wohl kein Geheimnis sicher, was, Allyn? Wohlan denn. Kommt mit in mein Haus, und Elisabeth wird Euch eine Tasse Tee reichen, während ich Euren, äh, Anteil zusammensuche.“
„Richtet Eurer verehrten Frau Gemahlin mein Bedauern aus, Willet. Leider habe ich anderen Verpflichtungen nachzukommen.“ Jede Verpflichtung wäre ihm recht, wenn sie ihn nur vor Elisabeth Willets frommen Sprüchen und ihrem zweimal aufgegossenen Tee bewahrte. „Schickt den Kapitän der ,'Wisdom“ heute Abend noch einmal bei mir vorbei. Ich werde dann alles für ihn bereit haben.“
Willet nickte und wandte sich zum Gehen, doch Roger hielt ihn am Ärmel fest. Mit Verlaub, Willet, da wäre noch etwas, um das ich Euch bitten möchte.“
Der alte Mann blickte säuerlich drein. „Und wie viel wird mich das kosten, Allyn?“
„Keinen einzigen Penny. Es handelt sich mehr um einen persönlichen Gefallen. Soweit ich weiß, seid Ihr mit der Witwe meines Bruders bekannt.“
„Demaris Allyn, gewiss, die kenne ich“, antwortete Willet verächtlich. „Ihre Mutter, Sarah Clarke, war eine gute Frau, doch die Tochter heiratete außerhalb der Gemeinde, wie Ihr wisst. Ein eigensinniges Mädchen, eine Schande für die Gesellschaft der Freunde und eine Sorge für ihre Mutter übers Grab
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