Flagge im Sturm
sie gesorgt und auf ihrer Farm gearbeitet. Er hatte sie umarmt, geküsst und ihr Freuden ohne Ende geschenkt. Dass er sie liebte, hatte er indessen nie gesagt.
Als sie sich ihm hingab, hatte sie willentlich gegen ihren Glauben gesündigt und gegen das Gesetz ihrer Kolonie verstoßen. Sie war in einer Hafenstadt aufgewachsen und wusste genau, wie man Frauen nannte, die das taten, was sie getan hatte. Sie wusste, dass sie sich ihrer Wollust und ihres schwachen Fleisches schämen sollte, doch dagegen rebellierte ihr Herz. Wie konnte etwas so Wundervolles, Großartiges wie das, was sie mit Jonathan geteilt hatte, etwas Böses sein? Wie konnte sie eine Sünde bereuen, die sie nicht als Sünde empfand?
Sie wusste es nicht. Still und leise begann sie zu weinen. Heiße Tränen rollten über ihre Wangen. Gott stehe mir bei, betete sie, ich weiß es nicht!
Mit Genugtuung bemerkte Roger ihre Tränen. Er reichte Demaris sein schwarzumrandetes Taschentuch. Sie hatte sich recht gut gehalten, seine kleine Schwägerin. Sie hatte sich um seine Wünsche und Bedürfnisse gekümmert, wie Evelyn es nie getan hatte, und er gewann langsam Achtung vor der Wahl seines Bruders.
Er merkte, dass die Grabpredigt nunmehr beendet war und die beiden Totengräber erwartungsvoll auf ihn schauten. Er warf die Hyazinthen auf den Sarg, und dann fiel auch die erste Schaufel voll dunkler, feuchter Erde auf das polierte Mahagoni. In einer kleinen Ecke seines Herzens empfand Roger das tatsächlich als schmerzlichen, endgültigen Abschied, doch rasch schüttelte er das unbehagliche Gefühl ab und wandte sich den Trauergästen entgegen, die jetzt herankamen.
Der erste war natürlich der Pfarrer, dann kam der Gouverneur, und danach Rogers Richterkollegen und die Kaufleute, insgesamt die reichsten und mächtigsten Männer der Stadt mit ihren Gemahlinnen. Roger hatte eigentlich gar nicht erwartet, dass sie in so großer Zahl erscheinen würden, denn Gerüchte über die Umstände von Evelyns Tod machten, wie ihm bekannt war, bereits die Runde.
„Ich danke Euch für Euer Erscheinen, Simon.“ Roger bedachte Willet mit einem warmen Händedruck. „Eure Anwesenheit ist mir ein großer Trost. Ich hoffe, Ihr und Eure liebe Gattin beehren mich bei dem Empfang in meinem Haus.“
Zu Rogers Verblüffung brummte Willet nur irgendetwas und blickte dann peinlich berührt auf seine Schnallenschuhe hinunter. Seine Gattin stand direkt vor Demaris und starrte die jüngere Frau schweigend an. Demaris wich nicht etwa zurück, sondern wagte es sogar, trotzig das Kinn zu heben und Elisabeth in die Augen zu blicken.
„Du besitzt wohl kein Schamgefühl, Demaris Clarke, was?“ Elisabeth ließ die Worte wie eine vernichtende Urteilsverkündung klingen. „Keinen Anstand, keinen Sinn für Schicklichkeit, keine andere Eigenschaft einer tugendhaften Frau. Ist es denn nicht schon schlimm genug, dass du dich selbst und deine Sünde an diesem traurigen Tag zu diesem heiligen Ort verfügst? Musst du auch noch deinen Gefährten in der Sündhaftigkeit hierher führen?“
Bedeutungsvoll schaute Elisabeth an Demaris vorbei. Roger blickte erst fragend zu seiner Schwägerin und folgte dann dem Blick der älteren Frau, so wie es jetzt auch alle anderen Trauergäste taten.
Demaris’ Wangen wurden flammend rot, und das Schlagen ihres Herzens hallte in ihren Ohren wider. Sie brauchte nicht erst hinzusehen, um zu wissen, auf wen jetzt alle Blicke gerichtet waren. Sie fühlte seine Gegenwart so deutlich, als hätte er seine Hände auf ihre Schultern gelegt. Langsam drehte sie sich um. An der Friedhofsmauer saß Jonathan hoch zu Ross und blickte Demaris an, und nur sie allein.
11. Kapitel
Hätte Demaris ihm ein einziges Zeichen des Erkennens gegeben, ein Winken oder Nicken, irgendetwas, um ihm zu zeigen, dass er ihr willkommen war, wäre Jonathan auf der Stelle mit seinem Pferd über den steinernen Friedhofszaun gesetzt und hätte sie entführt.
Der Zorn hatte ihn hierhergebracht und der Ärger darüber, dass sie ihn so bereitwillig verlassen hatte. Sobald er sie hier jedoch wiedergesehen hatte, hochaufgerichtet, ernst und wunderschön in ihrem schwarzen Gewand, war sein Ärger verflogen, und jetzt fühlte er nur noch ein Sehnen, das ihn zu zerreißen drohte. Drei Tage war sie fortgewesen, nicht länger. Wie hatte er sie nur so sehr vermissen können?
Das Pferd tänzelte unruhig unter ihm, während er sie betrachtete. Sie hatte geweint, das sah er sogar von hier aus. Das war auch
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