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Flagge im Sturm

Titel: Flagge im Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirinda Jarrett
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hier, Demaris, als mein Gast und meine Beraterin. So vieles in diesem Haushalt bedarf der Hand einer Frau. Dinge, die ich bisher immer Evelyn überlassen habe.“ „Ach Roger, das kann ich nicht!“, rief sie sofort und bemerkte dann seinen verwunderten Gesichtsausdruck. „Nicht dass ich dir nicht helfen wollte, doch ich kann Nantasket nicht verlassen, gerade jetzt nicht, wo die Frühjahrsaussaat und das Lammen fällig sind.“ Und wo Jonathan auf mich wartet, fügte sie im Stillen hinzu.
    Aus rotgeränderten Augen blickte Roger sie flehentlich an. „Darf ich dich dann wenigstens bitten, bis zur Beerdigung hierzubleiben? Wirst du mir bis dahin beistehen? Drei Tage wird Nantasket doch sicherlich auf dich verzichten können.“
    Jetzt drei Tage, dachte er, und dann noch drei Tage, und danach weitere drei, bis sie am Ende ganz hierbleibt. Dass sie so beharrlich auf Rückkehr nach Nantasket bestand, war wirklich ärgerlich. Schließlich war sie doch in Newport geboren, und ganz zweifellos würde sie auch die Vorteile des Stadtlebens erkennen.
    „Drei Tage?“ Sie hatte Jonathan versprochen, vor Nachtanbruch wieder daheim zu sein. Drei Tage ohne ihn, das war ja eine Ewigkeit! Andererseits mahnte ihr Gewissen sie, dass Rogers Wunsch tatsächlich gering genug war. Sie beschloss also zu bleiben. Jonathan würde dafür Verständnis haben.
    „Nun gut, Roger. Ich bleibe bis zum Empfang nach der Beisetzung bei dir. Danach muss ich allerdings wirklich nach Nantasket heimkehren.“
    Traurig lächelnd nickte er, nahm ihre Hand und führte sie sich kurz an die Lippen. „Ich wusste, du würdest mich nicht im Stich lassen, Schwägerin.“ Er sprach so leise, dass man seiner Stimme den Triumph nicht anhören konnte. „Ich wusste doch, dass ich mich jetzt, da ich dich am meisten brauche, auf dich verlassen kann.“
    Demaris musste ihre ganze Willenskraft aufbieten, um ihre Hand nicht fortzuziehen.
    Am Tage von Evelyns Beerdigung standen Demaris und Roger allein neben dem offenen Grab. Evelyns Vater, der einzige Angehörige der Verstorbenen, war zu krank und zu erschüttert und hatte nicht kommen können. Die anderen Trauergäste standen in respektvoller Entfernung, während
    der Pfarrer die Grabpredigt hielt.
    Demaris betrachtete den kleinen Mahagonisarg, den Evelyns aus eingeschlagenen Messingnägeln gebildeten Initialen schmückten. Im Leben wie im Tod hatte Roger keine Kosten gescheut. Der düsteren Zeremonie zum Trotz sangen die Drosseln fröhlich zwischen den rosa Blüten des Apfelbaums gegenüber dem Friedhof, und von fern hörte Demaris die Stimmen spielender Kinder und die lauten Rufe der auf den Hafenkais beschäftigten Männer.
    Das war das Leben, das war die Wirklichkeit, dass sie hier am Grab einer Frau stand, die sie kaum kannte, erschien ihr irgendwie unwirklich. Aus reiner Gewohnheit wollte sie ihre Schürze glattstreichen, nur trug sie gar keine. Roger hatte darauf bestanden, dass sie sich in ein Gewand kleidete, welches er für sie hatte anfertigen lassen. Es bestand aus schwerem schwarzen Seidenfarandine und entsprach ihrer Vorstellung von einem Trauergewand so wenig, dass sie sich darin höchst unwohl fühlte.
    Aus dem Augenwinkel beobachtete sie ihren Schwager, der den Kopf über den kleinen Strauß weißer Hyazinthen beugte, den er auf den Sarg seiner Gattin legen wollte. Sehr ernst und sehr düster, bot Roger das Bild eines trauernden Witwers. Während der vergangenen Tage war Demaris allerdings zu der Erkenntnis gelangt, dass seine Trauer so unecht war wie die langen dunklen Locken seiner Perücke.
    O ja, Evelyn fehlte Roger, so wie ihm auch jeder andere Besitz gefehlt hätte, nur schien er mehr Zeit darauf verwendet zu haben, sich die Grabinschrift auszudenken und die Liste der Trauergäste zusammenzustellen, als darauf, wirklich um die Verstorbene zu trauern. Demaris überlegte, ob es jemals echte Liebe zwischen den beiden gegeben hatte.
    Seit wann bin ich denn ein Experte in Liebesdingen? fragte sie sich. Wieder dachte sie an Jonathan und betete, er möge begreifen, weshalb sie länger als abgemacht fortblieb. Da Rogers Haushalt völlig in Unordnung geraten war, hatte sie nicht einmal einen Bediensteten mit einer Nachricht nach Nantasket schicken können, außerdem hätte sie auch gar nicht gewusst, was sie schreiben sollte.
    Außerhalb von Jonathans Bannkreis hatte sie versucht, ihre Gefühle zu ordnen. Sie liebte ihn, dessen war sie sich gewiss. Doch liebte auch er sie? Er hatte sie beschützt, für

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