Flagge im Sturm
werden. Die ,Leopard ist kaum bewacht, und nachts schon gar nicht. Ihr könntet sie Euch einfach nehmen.“
Jonathan schüttelte den Kopf. „Ich bezweifle, dass in mir noch genug Kampfgeist geblieben ist, um eine Schaluppe zu kapern, noch dazu eine bewaffnete. Außerdem steht mir nicht der Sinn danach, jetzt schon am Galgen zu baumeln.“ „Sehr wohl, Sir. Wie Ihr wollt.“ Tom blinzelte ihm listig zu. „Ich glaube allerdings, dass Ihr Euch auch ganz normal auf ihr anheuern lassen könnt. Unter falschem Namen selbstverständlich. Es wäre wie in alten Zeiten, wenn Ihr wieder bei uns sein könntet.“
„Ein gefährliches Spiel wäre das, Tom, wenn auch ein
sehr verlockendes.“
Ihm war so wenig von seinem früheren Leben übrig geblieben, dass ihm die Vorstellung, einen neuen Namen anzunehmen, eigenartigerweise gut gefiel. Außerdem würde ihn das noch mehr von Demaris trennen, denn in Gedanken hörte er seinen eigenen Namen immer nur mit ihrer sanften Stimme gesprochen.
„Nein, Tom“, sagte er schließlich. „Ich werde bei Leuten anheuern, die mich nicht kennen. Und dann werde ich weitersehen.“
„Sehr wohl, Sir - obwohl wir alle es uns anders wünschen.“ Der Junge seufzte so trübsinnig, dass Jonathan der Bedienung ein Zeichen machte, dessen Krug neu aufzufüllen. „Wart Ihr inzwischen wieder einmal daheim, Käpt’n Sparhawk?“
„Meine Familie wird mich wahrscheinlich im Moment ebenso ungern sehen wie deine Schwester dich.“ Jonathan schüttelte den Kopf und starrte in seinen jetzt leeren Krug. Er hätte sich zu gern nach den Schwestern erkundigt, die er vielleicht haben mochte, und danach, wo eigentlich sein Daheim war, doch er entschied sich dagegen.
„Ich habe mich bisher bei den Leuten aufgehalten, die mich aus dem Wasser gefischt hatten. Sie haben mein Leben gerettet und dafür habe ich ihnen bei der Arbeit auf der Farm geholfen. Sozusagen als Bezahlung.“ Diese Angabe war ja wohl ungenau genug und würde Demaris nicht in Schwierigkeiten bringen. Er war lange genug auf Aquidneck gewesen, um zu wissen, dass die Insel nur aus Farmland bestand und dass jede einzelne Farm an das Wasser grenzte.
Tom lachte laut los. Der Rum und die Vertrautheit mit den Umständen hatten offenbar seinen Humor wieder auferweckt. „Ihr habt geackert, ja? Was würden die Leute von Plumstead wohl dafür geben, wenn sie Käpt’n Sparhawks Seemannshand an einem Pflug sehen könnten! “
Plumstead, Plumstead ... das Wort bedeutete etwas, doch es gelang Jonathan trotz aller Konzentration nicht, es ins Bewusstsein zurückzuholen. Unterdessen schwatzte Tom munter weiter, während Jonathan nur mit halbem Ohr zuhörte. Plötzlich jedoch wurde er wieder sehr aufmerksam.
„Es ist ein Jammer, dass Ihr nicht bei irgendjemandem von diesem Schmuggelvolk angetrieben seid. Die ganze Kolonie ist voller Leute, die die Krone betrügen. Ich habe gehört, die haben hier nicht einmal ein richtiges Zollkontor.“ Tom lachte. „Neulich erst hat uns ein Mann, ein Holländer, eine Menge über eine Dame erzählt, die mit Spirituosen handelt. Wir haben ihn selbstverständlich einen Lügner gescholten und ihn zum Teufel gejagt.“ Er schlug auf die Tischplatte. „Könnt Ihr Euch so etwas in Massachusetts vorstellen? Eine Dame, die Alkohol schmuggelt?“
Mit allergrößter Mühe hielt Jonathan seine Tonlage so unbekümmert wie Toms, und dabei hätte er diesem van Vere am liebsten die Zunge aus dem vom Rum aufgeweichten Kopf gerissen. Demaris’ guten Namen in einer Hafenschenke zu verunglimpfen!
„Könntest du dir einen Ehemann in Massachusetts vorstellen, der seiner Frau den Umgang mit Schmugglern gestattet?“, stellte er die Gegenfrage.
„Nun ja, Käpt’n, sie ist eine Witwe und muss sich nach keinem Mann richten. Wahrscheinlich ist sie alt wie die Sünde und doppelt so hässlich, sonst hätte ich nämlich nicht übel Lust, mich auf den Weg zu machen und sie zu lehren, wo der Platz einer Frau ist.“ Er grinste breit und lüstern. „Natürlich würde ich auch ihre Waren kosten, und damit meine ich nicht unbedingt nur den Schnaps. Witwen sind ja immer die dankbarsten aller weiblichen Geschöpfe.“
Wieder lachte Tom, und Jonathan befahl sich streng, das nicht zur Kenntnis zu nehmen. Er war schließlich nicht für Demaris Allyn verantwortlich, er war es nie gewesen. Sie war gütig, großmütig und ehrlich, und sie hatte ihm diese guten Eigenschaften gezeigt, als er das nötig hatte. Und dafür hatte er auch bezahlt, denn er
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