Flames 'n' Roses
Oben durchwühlte er stirnrunzelnd seine Klamotten. »Du bist dünner als ich.«
Ich lachte. »Äh, ja, finde ich ehrlich gesagt auch ganz gut so.«
Er grinste mich an. Nach einer Weile zog er eine alte, abgetragene Schlafanzughose aus Flanell aus dem Schrank. »Die ist schon ein paar Jahre alt, also rutscht sie dir hoffentlich nicht direkt wieder runter.« Er reichte mir die Hose und sah mich erwartungsvoll an. Ich zog die Augenbrauen hoch und er wurde rot. »Ach so, natürlich. Ich lass dich mal allein, damit du dich umziehen kannst.«
Nachdem sich die Tür geschlossen hatte, schlüpfte ich aus den Shorts und zog die rot-blau karierte Schlafanzughose an. Sie war zwar ein Stückchen zu lang, passte aber wenigstens obenrum. Kombiniert mit dem schlabbrigen grünen Kapuzenpulli war das allerdings nicht gerade das schärfste Outfit aller Zeiten. Ich seufzte auf. Eine Dusche hätte ich auch gut vertragen können, ganz zu schweigen von ein bisschen Makeup. Meine Wimpern waren genauso blond wie mein Haar; ohne Wimperntusche fühlte ich mich wie eine Fünfjährige.
Als ich aus der Tür trat, lächelte Lend. »An dir sieht sie viel besser aus.«
»Wow, dann muss sie an dir aber wirklich grauenvoll aussehen«, entgegnete ich und grinste zurück.
Er reichte mir meine Stiefel, die dem lächerlichen Styling den letzten Schliff gaben. Wie um alles noch schlimmer zu machen, sah Lend in seinen perfekt sitzenden Jeans (glaubt mir, ich hab sie mir seeehr genau angeschaut) und dem Thermohemd regelrecht anbetungswürdig aus. Ich sah ihn an. Seine Augen – seine echten Augen – waren einfach toll. Sie konnte ich in seinem Gesicht immer am leichtesten erkennen.
»Geht es dir gut?«, fragte er und sein sanfter, trauriger Gesichtsausdruck ließ alles wieder in mir hochkommen.
»Nicht unbedingt, aber ich gebe mir Mühe, nicht vor aller Augen die Krise zu kriegen.« Ich unterdrückte die Tränen, die schon wieder drohten. Okay, bei Wie ein einziger Tag konnte ich schon mal flennen wie ein Baby und ja, manchmal – okay, ziemlich oft – weinte ich mich auch in den Schlaf, aber das machte ich nur, wenn ich allein war. Vor anderen Leuten wollte ich das einfach nicht.
»Sag Bescheid, wenn ich irgendwas tun kann.«
Ich lächelte; ich wollte einfach nur los, damit ich endlich nicht mehr über Sachen nachdenken musste, die mich traurig machten. Es war ein komisches Gefühl, mich hier auf Lends Terrain zu befinden; in der Zentrale hatte ich mich wesentlich selbstsicherer gefühlt. Jetzt zum Beispiel hätte ich gern seine Hand genommen, aber ich traute mich nicht, so lange sein Dad und diese blöde Vampirtussi unten saßen.
David und Arianna warteten draußen auf uns. Jetzt konnte ich mich endlich auch gründlicher umsehen. Eine schmale Straße führte zwischen Bäumen hindurch vom Haus weg, aber wir wandten uns nach rechts und stapften ungefähr zwanzig Minuten über einen fast nicht vorhandenen Pfad durch den Wald. Die Bäume fingen bereits an zu knospen und die Luft war frisch und klar mit einem Hauch von Wärme, der den Frühling ankündigte. Ich beobachtete die Sonnenstrahlen, die durch die Zweige brachen.
»Wo sind wir hier eigentlich?«, erkundigte ich mich flüsternd bei Lend.
»In Virginia.«
Vor uns tauchte zwischen den Bäumen ein See auf, der durch einen breiten Bach zu unserer Rechten gespeist wurde. Schließlich standen wir am Ufer. Der See war oval und relativ groß und seine blassblaue Oberfläche reflektierte den wolkenlosen Himmel. An den Rändern glitzerten noch ein paar Frostkristalle.
»Oh, gut«, sagte Lend. »Heute kann sie rauskommen.«
Mir kam der schreckliche Gedanke, dass sie vielleicht mit einer Moorhexe befreundet waren. Aber Lends Blick – aufgeregt und glücklich – beruhigte mich wieder. Sicher würde ich hier keinen gewaltsamen Tod finden.
»Wer denn?«, fragte ich.
Er lächelte mich an. »Meine Mom.«
Das liegt in der Familie
»Deine Mom?« Ich wandte mich wieder zum See um und suchte nach einem Haus oder etwas Ähnlichem, aber es war nichts zu sehen.
Lend bückte sich nach einem Stein und ließ ihn mit einer lässigen Bewegung aus dem Handgelenk über die Wasseroberfläche hüpfen. Noch eine Sache, die er konnte und ich nicht. Die anderen starrten erwartungsvoll auf den See, also tat ich einfach dasselbe.
In der Mitte begann sich das Wasser zu bewegen, als hätte sich plötzlich die Strömung geändert, und drehte sich in unsere Richtung. Wie von selbst türmte es sich auf und wallte in
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