Flaming Bess 01 - Das Erbe der Erde
schlauchförmiger, niedriger Gang, die Wände weiß und glatt, hier und da mit verschnörkelten Symbolen bedeckt. Der Gang neigte sich sanft in die Tiefe und mündete in eine ovale Kaverne.
In der Kaverne lag ein Dhrakane.
Er bewegte sich nicht.
Reglos lag er in einer hellgrünen Lache Flüssigkeit, schuppig und fremd, nicht größer als ein zehnjähriges Kind, der Rücken zu einem hornartigen Panzer gewölbt, die Bauchseite bleich und feucht glänzend wie der Leib eines Fisches, die Glieder kurz und kräftig und in klauenartige Greifwerkzeuge auslaufend, der Kopf ein dunkelgrün geschuppter Keil mit borkigen Lippen, kleinen Nasenöffnungen und froschartig hervorquellenden, von schillernden Membranen bedeckten Augen.
Die Worte des Magisters kamen ihr in den Sinn.
Sie waren schon groß und mächtig, als die Erde die einzige ‘Welt war, auf der Menschen lebten. Sie herrschten im Kosmos, lange bevor es Menschen gab. Sie leben in der menschenlosen Fremde, und die Sterne gehören ihnen. Sie sind fremd. Schuppig und von kaltem Blut.
Uralt und mächtig …
Aber das Wesen dort wirkte nicht mächtig.
Es lag in seinem eigenen Blut, klein und verloren, im Tode allein.
Langsam, gebückt, näherte sich Flaming Bess der Kaverne.
Dort endete der Gang; nirgendwo eine Öffnung oder die Umrisse einer Tür.
War das tote Wesen allein an Bord?
Sie horchte; bis auf ihre Atemzüge und Kas kaum hörbare, vorsichtige Schritte war es still. Keine Stimmen, keine Maschinen.
Die Stille eines Grabes.
Als sie die ovale Kaverne erreic hte, wurde der süßliche, schwere Geruch so stark, daß er sie fast betäubte. Sie atmete flach. Forschend betrachtete sie die kleine, schuppige Gestalt des Dhrakanen. An seiner rechten Seite, dicht am Rückenpanzer, war die Schuppenhaut zerrissen. Grünliches, qualliges Fleisch lag bloß; die Wundränder waren geschwärzt. Vorsichtig streckte sie die Hand aus und versuchte, ihn auf den Bauch zu drehen. Er war unerwartet schwer. Dann sah sie, was ihm die schreckliche Wunde zugefügt hatte: Der Boden unter seinem Panzer war geborsten und enthüllte ein Gewirr verschmorter Schaltungen. Wahrscheinlich hatte ihn eine elektrische Entladung getötet.
Resigniert zog sie die Hand zurück und blickte zu Ka auf.
»Wir müssen weitersuchen«, sagte sie leise. »Wenn es Überlebende gibt, dann wahrscheinlich in der Zentrale. Vielleicht ist sie im Mittelteil oder in der unteren Diskusscheibe untergebracht. Ich … «
NEIN.
Die Stimme erklang direkt in ihrem Kopf.
Sie war kalt und brüchig wie Eis zu Beginn des Tauwetters. Sie war laut wie der Donner eines Gewitters. Sie war lähmend wie der Schock im Angesicht des Todes und hart wie purer Stahl.
Flaming Bess keuchte und wollte aufspringen, aber sie konnte sich nicht bewegen. Aus den Augenwinkeln sah sie Ka wie festgefroren in der Öffnung des Tunnels stehen, geduckt, die Arme nach vorne gestreckt, zum Sprung bereit, aber wie Bess an seinen Platz gebannt. Das narbige Gesicht war verzerrt, und in seinen Augen las sie hilflosen Zorn.
Dann, von einem fremden Willen gelenkt, drehte sie den Kopf und sah den Dhrakanen an.
Sie hatte sich geirrt.
Er war nicht tot.
Die schillernden Membranen flatterten und falteten sich wie Fächer aus dünnem Seidenpapier zusammen. Riesige, dunkelgrüne Pupillen wurden sichtbar.
Der Druck um ihren Schädel wuchs und verwandelte sich in Schmerz.
Sie spürte, wie der Blick dieser fremden Augen durch ihre Haut und ihre Knochen in ihr Gehirn drang, in ihr Bewußtsein und ihre Seele, in die Schatzkammer ihrer Erinnerungen. Sie versuchte, sich gegen den geistigen Zugriff zu wehren, aber eine Welle ungeheurer Macht schlug über ihr zusammen und schwemmte jeden Gedanken an Widerstand fort. Und dann geschah etwas, was sie nie in ihrem Leben vergessen würde: Schicht um Schicht ihrer Erinnerungen wurde freigelegt, untersucht, völlig von diesem fremden Willen durchdrungen. Bilder blitzten in ihr auf, und des Dhrakanen kalte Augen betrachteten sie nacheinander: der Start mit der NOVA STAR; der Tod des Magisters; die Kämpfe gegen die Assassinen in der Dimension der Schattenwelt; die Konfrontation mit Frust und Gondelor im Stabsraum; das Verhör in Muller McLaskys Büro; die Flucht zum Palast, verfolgt von den Herculeanern; das Erwachen im Tempel … Wie ein rückwärts laufender Film wanderte ihr Leben an ihr vorbei. Sie sah sich mit dem Shuttle in die Erdumlaufbahn steigen, um an Bord des ersten Sternenschiffes der Menschheit zu gehen;
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