Flamingo (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
anstarrte. Ich versetzte der Tür noch einen Tritt, und diesmal splitterte das Schloß aus dem Türpfosten. Die Tür flog krachend auf.
Meine Augen registrierten den auseinandergerissenen Handtuchbehälter an der Wand und die über den ganzen Boden verstreuten Papiertücher, noch bevor ich Boggs sah. Er stand schußbereit da, die Knie leicht gebeugt, die einzelnen Glieder der Kette dicht an den Körper geschmiegt. Die Hand, die noch festgekettet war, hing starr an seiner Seite wie eine Vogelklaue, und in seiner ausgestreckten rechten Hand hielt er einen vernickelten Revolver. Seine minzgrünen Augen funkelten, und auf seinem Mund lag ein Lächeln, als wären wir alle Teil eines Scherzes.
Ich brachte die .45er halb aus dem Holster, bevor er feuerte. Der Schuß war nicht lauter als ein Silvesterknaller, und ich sah Funken aus dem Lauf hinaus in die Dunkelheit fliegen. Im Geiste drehte ich mich zur Seite, hob den linken Arm vors Gesicht und zog meine Waffe ganz aus dem Holster, aber ich glaube nicht, daß ich irgend etwas davon wirklich tat. Ich bin vielmehr sicher, daß sich mein Mund in ungläubigem Staunen und angsterfüllt weit öffnete, als mich die Kugel hoch oben in der Brust traf wie eine stahlbewehrte Faust. Die Luft wich explosionsartig aus meinen Lungen, meine Knie gaben nach, und meine Brust brannte, als ob jemand mit einem Bohrer Sehnen und Knochen durchstoßen hätte. Die .45 glitt mir nutzlos aus der Hand und fiel ins Unkraut am Boden. Ich fühlte, wie mein linker Arm schlaff wurde, wie die Muskeln in meinem Hals und in der Schulter in sich zusammenfielen, als gäbe es nichts mehr, was sie zusammenhielte. Dann stolperte ich rückwärts durch den Regen auf das Flußbett zu, eine Hand auf das nasse Loch in meinem Hemd gepreßt. Mein Mund öffnete und schloß sich wie der eines Fisches.
Lester trug eine .38er an den Knöchel geschnallt. Er hatte mir einmal erzählt, daß ein Cop in Miami Beach, den er kannte, seine Waffe genauso trug. Sein Knie schoß hoch, seine Hand fuhr nach unten in Richtung seines Schuhs, und im Licht des Vorderfensters der Tankstelle war sein Gesicht einen Augenblick lang kalkweiß, zu Eis erstarrt, von Regentropfen gerahmt. Dann krümmte er sich nach vorne, von Jimmie Lee Boggs in den Bauch geschossen.
Aber ich dachte nicht an Lester, und ich kann auch nicht ernsthaft behaupten, daß ich mich in diesem Augenblick um ihn kümmerte. Durch die Pistolenschüsse und das Zucken der Blitze am Horizont hindurch hörte ich die Worte eines schwarzen Sanitäters von meiner Kompanie: Scheiße. Lungenschuß. Pneumothorax. Drück zu, drück zu, drück zu. Chuck muß durch den Mund atmen. Dann brach ich rückwärts durchs Gehölz und taumelte durch Schilf und dichtes Gestrüpp die Neigung des Flußbetts hinunter. Ich rollte mich auf den Rücken, und in meinen Ohren dröhnten Feldhörner und Trommeln. Mein Atem entwich mit einem langen Seufzer. Über dem höchsten Punkt des Flußbetts wölbten sich Eichenäste, und durch die Blätter hindurch konnte ich Blitze am Himmel sehen.
Meine Beine lagen im flachen Wasser, mein Rücken war voller Schlamm, an der Seite meines Gesichts klebten lauter schwarze Blätter. Ich fühlte, wie sich die Wärme aus der Wunde unter meiner Hand im Hemd ausbreitete.
»Hier rein mit dir, du Mistkerl«, sagte Boggs oben in der Dunkelheit.
»Mister Boggs«, hörte ich Tee Beau sagen.
»Hol die Autoschlüssel und mach den Kofferraum auf«, sagte Boggs.
»Mister Boggs, es gibt keinen Grund, das zu tun. Der Junge hat viel zuviel Angst, um uns schaden zu können.«
»Halt’s Maul und hol die Gewehre aus dem Kofferraum.«
»Mister Boggs...«
Ich hörte ein Geräusch, wie wenn jemand hart gegen eine Wand geschubst wird, dann noch einmal einen Schuß, wie das schwache, trockene Ploppen eines Feuerwerkskörpers.
Ich schluckte und versuchte mich auf die Seite zu rollen, um weiter das Flußbett hinunterzukriechen. Knochenzermahlender, rotschwarzer Schmerz fuhr mir vom Hals bis hinunter in die Genitalien, und ich rollte mich wieder zurück in die Farnkräuter und die dicke Schicht aus schwarzen Blättern und den Schlamm, der so scharf wie Abwässer roch.
Dann hörte ich das unverkennbare Dröhnen eines Schrotgewehrs.
»Jetzt versuch mal, das mit Magentropfen zu kurieren«, sagte Boggs und lachte, wie ich nie zuvor einen Menschen hatte lachen hören.
Ich nahm die glitschige Hand von der Brust, faßte mit beiden Händen hinter mir in den Schlamm, grub die Absätze meiner
Weitere Kostenlose Bücher