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Flamingo (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Flamingo (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Titel: Flamingo (Detective Dave Robicheaux) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Lee Burke
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müssen wieder auf die Felder.‹
    Wo waren denn alle, als mein kleiner Junge Hilfe brauchte?« sagte sie. »Als dieser Redbone-Mischling ihn mit einer zusammengerollten Zeitung geschlagen hat wie eine streunende Katze? Wo waren sie denn da, die Polizisten, die Anwälte?«
    »Ich komme morgen bei dir vorbei, Tante Lemon«, versprach ich ihr.
    Lester zündete sich eine Zigarette an und lächelte versonnen in den aufsteigenden Rauch. Ich hörte, wie der Liftmotor stoppte; dann glitten die Türen auf, und zwei Hilfssheriffs in Uniform führten Tee Beau Latiolais und Jimmie Lee Boggs in Ketten heraus. Beide trugen Straßenkleidung für die Fahrt nach Angola. Tee Beau hatte eine glänzende Sportjacke an, deren Farbe an Weißblech erinnerte, weite purpurne Hosen und ein schwarzes Hemd, dessen Kragen flach über dem Jackenrevers lag. Er war fünfundzwanzig, aber er sah aus wie ein Kind in Erwachsenenkleidung, als könne man ihn mit einem Griff um die Taille hochheben wie einen Kissenbezug voller Stöcke. Im Gegensatz zu seiner Großmutter war seine Haut schwarz, die Augen braun, zu groß für sein kleines Gesicht, so daß er verängstigt wirkte, selbst wenn er es nicht war. Jemand im Gefängnis hatte ihm das Haar geschnitten, aber den Nacken nicht ausrasiert. Unterhalb des Genicks war eine drahtige schwarze Linie übriggeblieben, die aus der Entfernung wie Schmutz aussah.
    Aber es war Jimmie Lee Boggs, der die Blicke auf sich zog. Sein Haar war lang und dünn und hatte die Farbe von Silber. Es war nach hinten gekämmt und hing gerade und schlaff nach unten, wie Fäden, die man an die Kopfhaut genäht hatte. Er hatte die typische Gefängnisblässe, und seine minzgrünen Augen waren längliche Schlitze. Seine Lippen wirkten unnatürlich rot, als hätte er Rouge aufgelegt. Der geschwungene Hals, das Profil seines Schädels, die rosaweiße Kopfhaut, die durch das faserige Haar hindurchschimmerte, all das erinnerte mich an eine Schaufensterpuppe. Er trug ein frischgewaschenes T-Shirt, Jeans und knöchelhohe schwarze Tennisschuhe ohne Socken. Aus einer seiner Hosentaschen ragte kokett eine Packung Lucky Strikes hervor. Obwohl seine Hände an die Kette um seine Hüfte geschlossen waren und er wegen der knappen Beinfesseln nur kleine, trippelnde Schlurfschritte machen konnte, konnte man sehen, wie sich straffe Muskeln in seinem Bauch bewegten, in seinen Armen, an den Schultern über dem Schlüsselbein pulsierten, als er den Hals verdrehte, um alle im Raum Anwesenden in Augenschein zu nehmen. In seinen Augen lag ein eigenartiger Glanz; man tat besser daran, nicht hineinzugeraten.
    Der Gefängnisbeamte öffnete die Lade eines Aktenschranks und entnahm ihr zwei große braune Papiertüten, die oben fein säuberlich zugefaltet und zugeheftet waren. »Boggs« stand auf der einen, »Latiolais« auf der anderen.
    »Das ist ihr Zeug«, sagte er und übergab mir die Tüten. »Wenn ihr die Nacht über in Angola bleiben wollt, könnt ihr euch das mit einer Tagespauschale vergüten lassen.«
    »Seht euch doch an, was ihr da hinschickt«, sagte Tante Lemon. »Schämt ihr euch denn nicht? Ihr habt diesem kleinen Jungen Ketten angelegt und tut, als sei er so wie der andere, weil euch sonst euer Gewissen die ganze Nacht keine Ruhe läßt.«
    »Dieser Bursche war acht Monate in meinem Gefängnis, Tante Lemon, lange bevor er in diesen Schlamassel geraten ist«, sagte der Wärter. »Also tu jetzt nicht so, als hätte Tee Beau noch nie was Unrechtes getan.«
    »Das war, weil er sich was von Mr. Dores Schrottplatz geholt hat. Weil er seiner gran’maman einen alten Ventilator gebracht hat, den keiner mehr haben wollte. Das ist der Grund, weshalb er hier im Gefängnis war.«
    »Er hat Mr. Dores Wagen gestohlen«, sagte der Wärter.
    »Das sagt der«, sagte Tante Lemon.
    »Ich hoffe doch nicht, daß ich hier heute nacht noch Miete zahlen muß«, sagte Lester und klopfte mit den Fingernägeln gegen seine Hose, um die Zigarettenasche zu entfernen.
    Da weinte Tante Lemon. Sie schloß die Augen, und unter den Lidern quollen Tränen hervor, als wäre sie blind; ihr Mund bebte und zuckte unkontrolliert.
    »Ach du liebe Güte«, sagte Lester.
    »Gran’maman, ich schreib dir«, sagte Tee Beau. »Ich schick dir Briefe, wie wenn ich nur ein paar Häuser weiter war.«
    »Ich muß mal«, sagte Jimmie Lee Boggs.
    »Halt’s Maul«, sagte der Wärter zu ihm.
    »Der Junge ist unschuldig, Mister Dave«, sagte sie. »Du weißt, was sie mit ihm anstellen werden.

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