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Flamingos im Schnee

Flamingos im Schnee

Titel: Flamingos im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wendy Wunder
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Fingern durch die Haare und fertig. Sie hatte nicht vor, jemanden zu beeindrucken.
    Gerade überlegte sie, ob sie überhaupt Ohrringe anlegen sollte, als sie es auf der Einfahrt hupen hörte. Sie nahm ihre Kuriertasche und rannte nach draußen, wo zu ihrem Schreck ein gelber Hummer mit laufendem Motor wartete.
    »Komm schon!«, rief Lily und zog Cam an der Hand zu dem mächtigen Gefährt.
    »Meine Güte, Lily, meinst du nicht, Jesus würde einen Toyota Prius mit Hybridantrieb fahren?«
    »Sei nicht so eine Spaßbremse.«
    »Tut mir leid, dass es mir widerstrebt, den Planeten mit diesem Klimakiller zu zerstören. Ich sollte wirklich nicht so ein Spielverderber sein.«
    »Ach, Campbell!« Lily ließ ihre Freundin stehen und rannte buchstäblich auf den Geländewagen zu, wobei der Picknickkorb gegen ihre Beine schlug. Cam musste ihr helfen, die monströse Tür aufzuziehen.
    »Wo ist Andrew?«, fragte Lily mit einem Blick auf die leere Rückbank.
    »Lacrosse«, sagte Ryan.
    »Kommt er noch?«, hakte Lily nach.
    »Nee.«
    »Ach Ryan, warum hast du mir das nicht gesagt?«
    »Ist doch keine große Sache, Lil. Steig ein.«
    »Lass mich wenigstens noch ein Buch oder irgendwas holen, mit dem ich mich beschäftigen kann«, bettelte Cam. Sie wollte zurück zum Haus gehen, doch Lily kam ihr zuvor und schob ihren dünnen Hintern auf den Rücksitz.
    Ryan hatte lockige rote Haare, sehr helle Haut und Sommersprossen. Auch tatsächlich ein paar Pickel, aber nicht allzu abstoßende. Alles an ihm wirkte neu, noch im Werden, unbehaart, als wäre er gerade aus dem Ei eines Aliens geschlüpft und auf dem Planeten Erwachsenenwelt gelandet. Alles, außer seiner Stimme. Er hatte die tiefe, volltönende Stimme eines Schauspielers, und als er sagte: »Hallo Cam, schön, dich endlich mal kennen zu lernen«, verstand Cam, warum Lily sich von ihm einwickeln ließ. Trotzdem wünschte sie, sie wäre einfach zuhause geblieben und mit ihrer Mutter und Perry ins Kino gegangen.
    An ihrem Ziel, einem Naturpark, angekommen, stiegen sie auf einen der wenigen Hügel im östlichen North Carolina. Bei jedem anstrengenden Schritt trauerte Cam ihren Muskeln nach, aber die kühle, erfrischende Luft gab ihr neue Energie und brachte Farbe auf Lilys Wangen. Sie erreichten einen Aussichtspunkt, eine Felsspitze mit Blick über den ganzen See, der eigentlich von Menschenhand gemacht war, ein Stausee, ein Wunder an Arbeitskraft und Ingenieurskunst, ein geflutetes Sojabohnenfeld. Nichtsdestoweniger war es schön, wie er da in der Sonne glitzerte und die hellen Schreie der Seetaucher und Bootsfahrer bis zu ihnen herauf auf den Berg hallten.
    Ryan breitete die karierte Picknickdecke aus und bestand auf einem kurzen Gebet, bevor er Lily half, das Essen aufzutischen. Er achtete darauf, dass sie etwas aß, bevor er selbst einen Bissen zu sich nahm.
    »Du musst essen, Lily, bitte«, sagte er und kreierte für sie einen leckeren Happen aus einem Cracker, Pimentkäse und einem Gewürzgurkenscheibchen, Lilys Lieblingssnack.
    Auf dem ganzen Spaziergang war er zuvorkommend und unterhaltsam gewesen, hatte die ganze Ausrüstung getragen und freundlichen Smalltalk gemacht. Offenbar hatte er schon als Kind die gleichen Benimmkurse besucht wie Lily – Südstaatenetikette in ihrem »Club« –, weshalb sie ganz gut zusammenpassten, dachte Cam.
    Lily nahm einen Bissen und hielt sich plötzlich die Serviette vor Nase und Mund. Innerhalb von Sekunden war sie rot von ihrem Blut. Nasenbluten. »Mist!«, sagte Lily.
    »Drück das drauf.« Cam gab ihr eine Stoffserviette und kramte in der Kühlbox nach einer Eispackung. Sie half ihr, den Kopf in den Nacken zu legen, und presste den Eisbeutel auf ihre Nasenwurzel. Sogar ihre Schneidezähne waren blutrot. »Passiert das öfter?«, fragte Cam.
    Abgesehen von Lilys zerbrechlichem Aussehen war das das erste Anzeichen für Cam, dass man nicht von einer kompletten Remission bei ihr sprechen konnte.
    »Ja, das ist mein neues Ding.«
    »Reizend. Also, ich hatte einen Ohnmachtsanfall auf dem Parkplatz vom Dollarladen, wenn dich das tröstet.«
    »Fabelhaft«, erwiderte Lily. »Ich bin gleich wieder da.« Sie ging auf eine Hütte mit Toiletten zu, die etwa hundert Meter hinter ihnen im Wald stand. »So lange könnt ihr zwei euch beschnuppern«, fügte sie hinzu.
    Cam setzte sich auf die Decke und wusch sich mit etwas Wasser aus der Flasche das Blut von den Händen. Dann blickte sie mit Ryan hinaus auf den See. »Also.« Sie war immer noch ein wenig

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