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Flamingos im Schnee

Flamingos im Schnee

Titel: Flamingos im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wendy Wunder
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nur, weißt du«, platzte sie heraus.
    »Woher willst du das wissen?« Lilys eisblauer Blick wurde hart, ging von Bekümmerung zu Ablehnung über.
    »Ich habe ihn gefragt, Lil. Und er hat erstaunlich ehrlich geantwortet, weißt du. Ich hatte Recht mit ihm«, erwiderte Cam und bereute es sofort. Sie fühlte sich innerlich leer. Als hätte sie keine Organe. Sie war eine hohle Schale. Ein Panzer. Ein Gerippe, allein und verloren.
    »Nein, Campbell, ausnahmsweise hast du einmal nicht Recht!« Bei dem Wort Recht wurde Lilys Stimme eine Oktave höher. »Du bist ganz offensichtlich nur eifersüchtig.« Seufzend fuhr sie sich durch die Haare. Sie drehte sich um und wollte Cam stehen lassen, hielt dann aber inne. »Du kannst es nicht ertragen, mich glücklich zu sehen, stimmt’s? Du musst mich einfach wieder in dein Elend mit hineinziehen. Aber ich will mein Leben genießen. Ein bisschen lockerlassen. Vielleicht solltest du das auch mal versuchen.«
    Cam wusste, dass Lockerlassen ihr Ende bedeuten würde. Ihre Wachsamkeit war alles, was ihr noch blieb. »Ich glaube, so verzweifelt bin ich noch nicht«, widersprach sie.
    Lily brauchte einen Moment, um den Schlag zu verkraften. Sie sah zu Boden, kickte ein paar Kieselsteine herum, holte tief Luft und sagte: »Das ist komisch, denn du bist der verzweifeltste Mensch, den ich kenne, Campbell Cooper.« Mit einem wässerigen Abschiedsblick starrte sie Cam an. »Ich habe keinen Platz mehr in meinem Leben für deine Negativität. Ich muss mich mit positiver Energie umgeben. Ich möchte, dass du mich in Ruhe lässt.«
    »Du hörst dich an wie einer von diesen bescheuerten Psychoratgebern.«
    »Ich meine es ernst, Campbell. Alles Gute für dich.« Lily wich zu ihrem Blockhauspalast zurück und winkte Alicia und Perry höflich zu.
    »Lily …«, nahm Cam noch einen Anlauf. Aber Lily war schon fort.
    Im Auto holte Cam das Drehbuch, das sie gemeinsam begonnen hatten, aus ihrer Kuriertasche. Als Lilys Haus hinter ihr außer Sicht geriet, riss sie es mitten entzwei.

N EUN
    »Maria! Lydia!«
    Ihre Oma kam kreischend aus ihrem dreistöckigen Haus in Hoboken gelaufen, von dem man die Skyline von Manhattan sehen konnte, wenn man den Kopf aus dem Dachbodenfenster streckte und nach links guckte. Sie hatte einen hellblauen Trainingsanzug an, Oberteil und Hose passend. Sie liebte zueinanderpassende Sachen.
    »Mom, du sollst die Mädchen bei ihren richtigen Namen rufen«, tadelte Alicia.
    »An die kann ich mich nicht mehr erinnern. Wie heißen sie noch gleich? Harry und Jonathan?«
    »Mom.«
    »Okay, ich mach nur Spaß. Eins müsst ihr mir versprechen, Mädchen: meinen Enkelinnen richtige Mädchennamen zu geben. Das ist mein letzter Wunsch, bevor ich sterbe. Wie wär’s mit Rose? Nennt eines eurer Kinder nach mir, ja?«
    »Klar, Nana«, sagte Perry und umarmte ihre Großmutter.
    »Du bist ein liebes Mädchen«, sagte Nana und küsste sie.
    Cam brachte noch kein Wort heraus. Der Anblick ihrer Großmutter schnürte ihr die Kehle zu. Sie merkte erst jetzt, wie sehr sie sie vermisst hatte.
    »Campbell«, sagte Nana und breitete die schwabbeligen Arme aus, in die Cam sich bereitwillig sinken ließ.
    »Siehst du, du erinnerst dich doch an meinen Namen.«
    »Ach, dich vergess ich nie, mein Liebes. Mein erstgeborenes Enkelkind … Ich liebe dich über alles«, flüsterte sie, damit Perry es nicht hörte. »Jetzt komm, wir wollen etwas essen.« Sie wischte sich verstohlen eine Träne ab. »Ihr habt bestimmt Hunger. Sieh dich nur an, nur Haut und Knochen. Du siehst aus wie eine von den Olsen-Zwillingen.«
    »Welche?«, flapste Cam.
    »Die, die mit Justin Bartha geht.«
    »Wer ist Justin Bartha? Du darfst echt nicht so viele Klatschblätter lesen.«
    »Wie bitte? Die lese ich doch nur beim Friseur, ich habe kein Abo oder so.« Sie räumte ein paar Tupperdosen aus dem Kühlschrank. »Hier, aufessen. Das ist Wunder-Lasagne. Tony Spinelli hat sie letzten Monat gegessen, woraufhin sich seine Gallensteine komplett aufgelöst haben.«
    »Glaubst du an Wunder, Nana?«, frage Cam.
    »Es kommt nicht darauf an, was ich glaube, oder? Im Moment, Campbell, kommt es nur darauf an, was du glaubst.« Sie schenkte sich noch eine Tasse Kaffee aus ihrer Edelstahl-Kaffeemaschine ein, die noch aus den Siebzigern stammte.
    Das war es, was Cam am Haus ihrer Großmutter so besonders mochte: dass sich nichts darin veränderte, außer das alles immer mehr vergilbte. Ihre Oma hatte immer noch ihre Kaffeekanne aus den

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