Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flamingos im Schnee

Flamingos im Schnee

Titel: Flamingos im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wendy Wunder
Vom Netzwerk:
Hummerrestaurant, machte eine Arbeitspause und trank einen Milchshake. Den Football, den er immer mit sich herumtrug, hatte er unter die Bank gelegt, und er las in einem Buch. Cam konnte den Titel nicht entziffern. Eine Sportskanone und auch noch was in der Birne , dachte sie. »Man kann auch zu perfekt sein, weißt du«, sagte sie laut.
    Insgeheim bewunderte sie seine Waden, die mit weichen, blond gelockten Härchen bedeckt waren und in seinen grundsätzlich nicht zugeschnürten Arbeitsstiefeln steckten. Sie bewegte die Linse zu seinem Gesicht hinauf. Er hatte ein kleines Schönheitsmal neben dem rechten Auge und eine Windpockennarbe mitten auf der Stirn. Sein einziger Makel.
    Vielleicht würde sie ihm ja eines Tages auf einer Fassbierparty begegnen, scherzte sie mit sich selbst. Er wirkte liebenswürdig genug, um ihr eventuell dabei zu helfen, Punkt eins auf ihrer Liste abzuhaken.
    »Oh-oh«, sagte sie, »wer kommt denn da?«
    Ein langbeiniges, blondes Mädchen, eine Barbie in weißen Shorts, hockte sich neben Asher auf die Bank und warf ihre schimmernden Haare zurück. Sie kicherte und strich flüchtig über seine Hand. Sie lächelte und berührte seine Schulter. Sie lachte schallend und tätschelte sein Knie.
    Haare zurückwerfen, häufiges Berühren – das sind laut Cosmo die beiden Signale, dass »sie auf dich steht« –, aber Asher, ein allem Anschein nach gesunder achtzehnjähriger Junge, ging nicht darauf ein. Nicht, dass er direkt unfreundlich zu ihr gewesen wäre oder so. Er saß einfach nur da und antwortete höflich auf ihre Fragen, bis sie schließlich aufstand und davonstolzierte, ohne zu merken, dass sie einen großen grauen Fleck von der staubigen Bank auf ihrem Hintern hatte.
    Asher wandte sich wieder seinem Buch zu, das, wie Cam jetzt sah, Ein Porträt des Künstlers als junger Mann von James Joyce war. Er schlürfte noch einmal von seinem Milchshake, nahm den Strohhalm aus dem Mund, blinzelte kurz und schien auf einmal direkt in das Teleskop zu blicken. Er zwinkerte. Winkte dann.
    Cam fiel rückwärts auf die Planken.
    Ein zwei Zentimeter langer Splitter bohrte sich in die Kuppe ihres kleinen Fingers, aber sie war viel zu beschämt, um ihn zu spüren. Hatte er sie wirklich gesehen?
    Wenn ihre Mutter bisher schon der Meinung gewesen war, dass sie sich isolierte, konnte sie jetzt was erleben. Cam würde nie wieder ihr Zimmer verlassen.
    Wenigstens durfte sie nun Mich ein wenig in harmlosem Stalking versuchen von ihrer Flamingoliste streichen.

Z WÖLF
    Homer brauchte frisches Salzwasser.
    Cams Hummer lebte allein im Untergeschoss des Hauses, wo sie ein unbenutztes 75-Liter-Aquarium gefunden hatte, das in die Backsteinwand eingebaut war. Sie hatte den Boden mit Sand und Steinen ausgelegt, ein paar künstliche Korallen und echten Seetang hineingeworfen und zum Schluss eine große SpongeBob-Ananas hineingestellt, in der Homer sich verstecken konnte.
    Sie klopfte an das Glas, woraufhin Homer an der Aqua ri-umswand hinaufkletterte, um sie zu begrüßen. Dann schwamm er herum und vollführte dabei große Achterschleifen, die man eher mit einem Eiskunstläufer in Verbindung bringen würde. Er ist glücklich hier , dachte Cam. Oder er wollte raus – schwer zu sagen.
    Sie hatte ein wenig über Hummer nachgeforscht und herausgefunden, dass ihre Gattungs- und Artbezeichnung Homarus americanus lautete. Ein weiteres interessantes Wissenshäppchen war, dass es einst über sie, wie auch über die Samoaner, geheißen hatte, sie seien Kannibalen. Den schlechten Ruf hatten sie wegbekommen, weil jemand mal Hummerschalen in den Mägen von toten Hummern gefunden hatte. Aber sie fraßen sich nicht gegenseitig, sie fraßen nur ein biss chen von ihren eigenen abgestoßenen Schalen, um genug Kalzium für die Neubildung aufzunehmen. Das war ernährungstechnisch genial und nicht kannibalisch. Sie waren missverstandene Geschöpfe, weshalb sich Cam gut mit Homer identifizieren konnte.
    Sie schnappte sich den gelben Salzwassereimer und zog mit der freien Hand an dem Griff der gläsernen Schiebetür des Souterrains. Die bewegte sich jedoch kein Stück. Sie zerrte erneut daran, mit gesenktem Kopf, und japste vor Schreck auf, als die Tür plötzlich ein Stück zur Seite glitt und sie beinahe hinfiel. Asher stand auf der anderen Seite der Glasscheibe und hatte ebenfalls die Hand am Türgriff. »Tut mir leid«, sagte er, »ich wollte dich nicht erschrecken.«
    Er half ihr, die schwere Tür ganz aufzuziehen, die auf dem Rost und

Weitere Kostenlose Bücher