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Flamingos im Schnee

Flamingos im Schnee

Titel: Flamingos im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wendy Wunder
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spielend damit fertig und stellte nie ihren eigenen Wert infrage. Schließlich konnte sie nichts dafür, dass ihre Eltern unbeherrschte Dummköpfe waren, und das wusste sie offenbar genau. Trotzdem fragte sich Cam manchmal, ob der Tag kommen würde, an dem Perry auszog, um nach ihrem hellhäutigen Vater in den dunklen Wäldern Norwegiens zu suchen – so hatte Perry mit drei Jahren dazu gesagt, als man ihr eröffnete, sie sei Norwegerin. Sie stellte sich eine entschlossene, zwanzigjährige Perry vor, die mit Schneeschuhen und Rucksack durch die Tundra stapfte und in norwegischen Dörfern an die Türen klopfte. Zu schade, dass sie das nicht mehr erleben würde.
    Perrys rosiges Gesicht erschien über dem Boden der Kuppel, dort, wo die Treppe endete. Die kühlen Temperaturen in Maine taten ihrem nordischen Blut gut.
    »Cam!« Perry war ganz aufgeregt.
    »Was?«, äffte Cam sie nach.
    »Sie machen eine Party!«
    »Na und?«
    »Du musst hingehen!«
    »Warum denn?«
    »Du musst unter Leute kommen. Es ist eine Mittsommernachtsparty. Auf der Insel mit dem Leuchtturm. Man fährt mit einer Seilrutsche dort rüber. Alle werden dort sein, sie machen ein Strandfeuer und so Sachen. Du liebst doch Lagerfeuer.«
    »Wer ist alle ?«
    »Alle eben. Asher zum Beispiel.«
    »Na und?«
    »Bitte, Cam, ja?« Perry kam ganz herauf und setzte sich zu Cam aufs Bett.
    »Warum liegt dir so viel daran, dass ich zu dieser Party gehe?« Cam griff nach einem von Perrys seidigen Rattenschwänzen und wickelte ihn um ihren Zeigefinger.
    »Weil ich so gern selbst hingehen möchte und nicht darf, und dann sollst du wenigstens gehen. Außerdem kann ich es nicht mehr mit ansehen, wie du hier oben trübsinnig rumhängst. Das ist deprimierend. Es ist so toll hier, du solltest mal anfangen, die Gegend zu erkunden. Wir sind dafür extra so weit gefahren.«
    »Wann ist diese Party?«, fragte Cam, nur zum Spaß.
    »Heute Abend.«
    »Nee, sorry, da habe ich eine Verabredung mit Katie Holmes und einem, den sie auch noch kriegen.«
    »Campbell, du bist echt öde. Hast du vor, irgendwann mal das Haus zu verlassen?«
    »Nein.«
    »Jammerlappen.«
    Cam hörte, wie Perry wieder die Treppe hinunterpolterte, dabei ihr Handy zückte und sich bei irgendeiner Hannah Montana über sie beschwerte.
    Schön, dann war sie eben ein Jammerlappen. Sie hatte sich dazu bereit erklärt, mit nach Maine zu kommen, aber nicht dazu, auf Partys zu gehen. Sie fühlte sich sicher und geborgen in ihrem Alleinsein. Vielleicht war das ja eine Phase des Sterbeprozesses.
    Als der Film zu Ende war, hallten die Stimmen sich versammelnder Leute von der Bucht zu ihr herauf, woraus sie schloss, dass die Party langsam in Gang kam. Konnte sie wirklich die ganze Nacht hier oben sitzen und zuhören? Sie überlegte, ob sie vielleicht irgendeine Art von passiv-aggressiver Schmollnummer durchzog, damit man sich um sie kümmerte. Nein, bestimmt nicht, aber um sich selbst das Gegenteil zu beweisen, sollte sie vielleicht doch hingehen.
    Um elf schlich sie die Treppe hinunter. Sie wollte Perry nicht die Befriedigung gönnen, dass sie auf sie hörte, und stahl sich auf Zehenspitzen durchs Wohnzimmer. Als sie an Tweetys Käfig vorbeikam, fing er an, herumzuflattern und aus voller Kehle zu zwitschern, als wollte er sie auffliegen lassen. Er war immer noch sauer auf sie, weil sie sein Wunder nicht anerkannte.
    »Pst, still, Tweety«, flüsterte sie. »Beruhige dich.« Sie lugte unter die Käfigabdeckung. »Gerade du solltest mich eigentlich besser kennen, Tweets. Ich bin sehr stolz auf dich, klar? Aber ich kann nicht an Wunder glauben.«
    »Tschilp?«, fragte Tweety.
    »Darum. Einfach darum, okay?«
    Weil sie sich auf das Unvermeidliche einstellen musste. Auf das ganz Reale, das mit ihr passierte. Es hatte keinen Sinn, sich Hoffnungen zu machen.

D REIZEHN
    Der Himmel färbte sich indigoblau, und die Sterne kamen heraus, zuerst langsam nacheinander, dann plötzlich Tausende auf einmal, die eine Decke aus Feenstaub bildeten.
    Cam ging um die hufeisenförmige Bucht herum, bis sie zu dem kleinen Park auf der Halbinsel kam. Sie erkannte Ashers Auto auf dem Parkplatz, folgte dem Stimmengewirr über den geisterhaft verlassenen Spielplatz und blieb am Rand einer hohen Klippe stehen. Unter ihr schlugen die Wellen eines etwa sieben Meter breiten Kanals wild an die Felsen zu beiden Ufern. Die Strömung schäumte wütend, als wäre sie eingeschlossen und fände den Weg nicht hinaus. Auf der anderen Seite des Kanals ragte der

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