Flamingos im Schnee
Libelle. Auf einem Schild neben dem Briefkasten stand A VALON AM A TLANTIK.
Alle drei starrten sie das Haus mit offenem Mund an. »Soll das ein Witz sein?«, fragte Cam. Es war noch größer als das von Lilys Eltern.
»Macht’s euch gemütlich«, rief Asher aus dem Seitenfenster des Jeeps. »Ich komme später nochmal, um nach euch zu sehen.« Dann fuhr er zu einem kleinen Cottage, das ein Stück weiter den Hügel hinunter lag.
Sogar Cam war euphorisch und aufgeregt, als sie kichernd ausstiegen und ihre Schuhe auszogen, um das kühle Gras unter ihren Füßen zu spüren. Alicia drehte das Radio auf und ließ die Türen von Cumulus offen stehen, damit sie die Musik hören und den heiligen Hula der Vulkangöttin zu Pinks Please don’t leave me tanzen konnten. Auch Perry versuchte es.
»Schon besser, Perry!«, rief Alicia, die Hüften schwingend. »Den rechten Arm zuerst, Cam.«
Cam wusste das natürlich. Diesen Tanz hatte sie als allerersten gelernt, schon mit drei Jahren, aber sie wollte ihre Blaubeerflecken verbergen. Als sie Handgelenk und Finger in der richtigen Haltung dem endlosen Sonnenuntergang entgegenstreckte, stellte sie jedoch fest, dass zwei der größeren Flecken verschwunden waren. Und zwar spurlos, ohne einen Schorf, eine Narbe oder einen blassen Umriss zu hinterlassen. Da war nur die glatte, feste, gebräunte Haut ihres Unterarms. Muss an der Salzluft liegen , schloss sie, denn sie bekam auf einmal auch leichter Luft, und auch das schwache Rasseln beim Ausatmen war kaum noch zu hören.
Der Song endete, und sie war müde. Sie wollte ihren Hummer in die Badewanne setzen, daher stieg sie mit der Box unterm Arm zur Veranda hinauf, während Alicia und Perry weitertanzten. Auf die ferne Brandung lauschend, suchte sie nach einem Namen für ihr neues Haustier. Zwicki, Red, Scherchen … Gerade wollte sie sich die Füße an der Gummifußmatte abstreifen, als sie etwas bemerkte.
Sie hockte sich hin, setzte sich auf die Stufe vor der Tür und konnte es nicht fassen.
»Mom! Mom! Perry! Kommt mal schnell her!«, schrie sie.
Sie dachten wohl, Cam würde einen Anfall erleiden, so schnell sprinteten sie herbei.
»Alles in Ordnung?«, keuchte Alicia und musste die Hände auf die Knie stützen. »Was ist passiert?«
Cam zeigte auf den Boden.
Dort saß Tweety.
Er saß einfach da und blinzelte unschuldig zu Cam hinauf, von dem schwarzen Fußabtreter vor Avalon am Atlantik.
E LF
»Hey, Tweety, sag mal ›Schönwetterfreunde‹«, rief Cam dem Vogel zu.
Ihre Mutter saß am Küchentresen und schnitt eine Papaya in Stücke, die sie an Tweety verfütterte. Alicia und Perry waren davon überzeugt, dass sein Auftauchen hier ein Fingerzeig des Himmels war und bedeutete, dass sie am richtigen Ort waren. Schon die ganze Woche überhäuften sie ihn mit Aufmerksamkeiten, und Cam konnte es nicht mehr ertragen. In Florida hatten sie ihn weder beachtet noch ihn je bei seinem Namen gerufen. Er war immer nur »der Vogel« gewesen.
Cam stöberte in der Speisekammer nach etwas zu essen. Sie hatten sich mehr und mehr in dem Haus eingerichtet. Anfangs waren sie fast auf Zehenspitzen herumgeschlichen, hatten darauf geachtet, ihre Spuren zu verwischen und keine Anzeichen ihrer Anwesenheit zu hinterlassen. Sie wohnten auch nur in zwei oder drei Zimmern, weil sie nicht an so viel Platz gewöhnt waren. Doch Asher, der jeden Tag etwas zu reparieren zu finden schien, hatte ihnen immer wieder versichert, dass niemand anders kommen werde, und so hatten sie sich langsam entspannt und ausgebreitet und ließen nun auch mal ein, zwei Teller in der Spüle stehen.
Cam nahm sich die Erdnusscreme und einen Löffel und tunkte ihn ein. »Und warum musste es dieser aufgemotzte Käfig sein?«, murmelte sie, ehe sie die Erdnussbutter mit einem Schluck Milch hinunterspülte. Alicia hatte in der örtlichen Tierhandlung einen neuen Luxuskäfig für Tweety erstanden. Er war schwarz mit weißen Zebrastreifen und innen mit einer winzigen weinroten Couch und einem orangefarbenen Flokati von der Größe einer Slipeinlage ausgestattet. »Der alte war völlig in Ordnung.« Tweetys neues Haus stand am Rand der großen Kücheninsel, und seine schreienden Farben bissen sich mit dem matten Senfgelb und Braun der Küche.
Alicia hielt Tweety wieder ein Stück Papaya hin. »In den ganzen zweiundzwanzig Jahren, die ich in New Jersey gelebt habe, habe ich nie eine Papaya zu Gesicht bekommen«, sagte sie. »Der Obststand unten in der Stadt ist das reinste Wunder.
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