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Flamingos im Schnee

Flamingos im Schnee

Titel: Flamingos im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wendy Wunder
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mal!« Asher zeigte hinaus auf die Wellen mit ihren Schaumkronen.
    »Hast du mir gerade den Mund verboten?«
    »Sieh hin«, beharrte er und streckte seinen braunen, schön mit Adern durchzogenen Wurfarm aus. Cams Blick fiel auf ein gelbes Plastikding um sein Handgelenk. Trug er etwa ein Livestrong-Armband? Tatsächlich. Sag bitte nicht, dass da Jesus draufsteht , dachte sie.
    Sie blickte hinaus aufs Meer. Und da sah sie es. Hörte es eigentlich zuerst. Eine gespannte Stille. Und dann Wuuusch ! Eine Orcamutter und ihr Junges sprangen drei Meter hoch aus der Bucht, genau in diesem Augenblick.
    »Mein Gott, Willy«, entfuhr es Cam. Die übrige Bucht behielt ihr Alltagsgesicht bei. Ein Hummerfänger tuckerte gemächlich zurück in den Hafen. Ein paar Dingis tanzten um ihre Bojen herum. Eine Möwe saß reglos in ihrem Nest oben auf einem Holzhaufen. Und die Sonne begann mit ihrer end losen Untergangsshow hinter dem Leuchtturm. Niemand schien darauf zu achten, dass zwei Wale gerade eine Zirkusnummer dargeboten hatten, für die die Zuschauer in Orlando eine Menge Dollars berappten.
    »Pass auf, sie machen es gleich nochmal.«
    »Woher weißt du das?«
    »Das machen sie jeden Abend bei Sonnenuntergang. Man spricht nicht umsonst von Gewohnheitstieren.«
    Und tatsächlich, die beiden Wale machten kehrt und sprangen wieder in die Luft, glänzend und schwarz-weiß, wie zwei verschieden große Lackschuhe.
    »Phantastisch.«
    »Die Sonne geht über diesem Ort auf und unter«, sagte Asher, während er einen flachen Stein aufhob und ihn sieben Mal über die Wasseroberfläche springen ließ.
    »Tja, ich bin froh, dass du das nicht als selbstverständlich betrachtest. Dir gehört nämlich sogar ein Stück vom Ozean, was ziemlich widerlich ist, weißt du«, bemerkte Cam, obwohl Asher alles andere als widerlich war. Ihm gehörte ein Strand. Die Mädchen warfen sich ihm zu Füßen. Dennoch wirkte er so nachdenklich und allein.
    »Nein, ich meine, die Sonne geht buchstäblich an derselben Stelle auf und unter«, erklärte er. »Hinter Archibald Light. Dem Leuchtturm. Ist dir das noch nicht aufgefallen?«
    »Das kann nicht sein«, erwiderte Cam automatisch, aber dann überlegte sie und stellte fest, dass es stimmte. Sie konnte sowohl den Sonnenaufgang als auch den Sonnenuntergang vom selben Fenster des Witwengangs aus sehen.
    »Das liegt wahrscheinlich an der Luftverschmutzung«, vermutete sie. »Meine Großmutter sagt, dass die tollen Sonnenuntergänge hinter der New-Jersey-Autobahn von den Gasen verursacht werden, die von den Deponiegeländen dort aufsteigen. Hier haben wir’s vermutlich mit was Ähnlichem zu tun. Es sieht aus wie die untergehende Sonne, ist aber nur eine Extraportion Methan von all den vielen Kühen in Vermont.«
    »Das wär ’ne Menge Methan«, sagte Asher und ließ noch einen Stein hüpfen.
    Warum müssen Jungs immer irgendetwas werfen? , fragte sich Cam.
    »Kühe fressen auch eine Menge Gras. Sie verursachen Löcher im Ozon.«
    »Du willst also damit sagen, dass unser Sonnenuntergang ein einziger großer Kuhfurz ist?«
    »Genau.«
    »Das ist eine gewagte Behauptung.« Asher grinste.
    »Es gibt für alles eine Erklärung.«
    »Mag sein«, erwiderte Asher, aber Cam hörte heraus, dass er nicht einverstanden war.
    »So, ich gehöre längst ins Bett«, verabschiedete sie sich und ging mit ihrem großen Eimer zurück zum Haus. Sie war müde und fror und freute sich darauf, sich oben in ihrer Witwenkuppel einzukuscheln und die Filme zu sehen, die Perry ihr gegen Bezahlung aus der Stadtbücherei mitgebracht hatte. Vielleicht würde sie Asher eines Tages auf einen Ausflug mitnehmen und ihm zeigen, wo die Sonne wirklich unterging. In dem Wald hinterm Haus. Dort, wo Westen lag.
    Oben in ihrem gläsernen Horst verschwammen die Rosa- und Violetttöne des Sonnenuntergangs um sie herum wie Wasserfarben auf einem Papierhimmel. Cam zog jedes langärmelige Teil über, das sie besaß, und dazu zwei Paar Socken. Sie schob Dich kriegen wir auch noch! ein, einen Klassiker mit Katie Holmes, in dem es um eine Clique von allzu smarten Schülern geht, die sich als besessene Zombiemonster oder so was erweisen, und wartete beim Ablaufen des Vorspanns darauf, dass sich die vertraute gemütliche Kinostimmung einstellte.
    »Cam!«
    Sie hörte Perrys plumpe Füße auf die Treppe zustampfen. Armer kleiner Bastard. Im ursprünglichen Sinn des Wortes.
    Dabei war sie stolz darauf, wie Perry mit ihrem Status als uneheliches Kind umging. Sie wurde

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