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Flamingos im Schnee

Flamingos im Schnee

Titel: Flamingos im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wendy Wunder
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bemerkte jetzt seine Ähnlichkeit mit Elaine. Sie stach einem geradezu ins Auge, und sie wunderte sich, dass sie ihr nicht gleich aufgefallen war. Beide hatten sie diese ausgeprägt hohen Wangenknochen, das eckige Kinn und natürlich dieses Grübchen beim Lächeln, wenn etwas – meistens Cam – sie amüsierte.
    »Warum treibst du dich um Mitternacht hier rum?«
    »Ich habe zuerst gefragt.«
    »Meine Mom glaubt so gern an dieses Gerede von der magischen Stadt, also mache ich ihr eine Freude und helfe ein bisschen nach. Ich wirke ein Wunder. Ich bin eine Wundertäterin.«
    »O je, das ist eine ganz schlechte Idee«, sagte Asher, der immer noch das Handtuch an die Stirn drückte. Sein Shirt wurde dabei über den Bauchnabel hochgezogen.
    No tocar. No tocar , ermahnte sich Cam und dachte an einen Museumsbesuch mit ihrem Spanischkurs, bei dem man ihnen eingeschärft hatte, nichts anzufassen. »Warum?«
    »Deshalb. Du kannst dem Universum nicht deinen Willen aufzwingen. Du musst auf seine natürliche Entfaltung vertrauen«, antwortete er. »Das könnte sonst nach hinten losgehen.« Sein unbeeinträchtigtes Auge funkelte sie enttäuscht an. »Auf mich ist es schon losgegangen, wie du siehst. Überleg mal, was noch alles passieren könnte.«
    »Tja, manche von uns haben eben keine Zeit, darauf zu warten, wie das Universum sich entfaltet. Geht es schon besser? Du solltest das vielleicht lieber auswaschen«, sagte Cam, während sie ihre Gerätschaften zusammenpackte und einen Schritt zurücktrat, um ihren »Garten« zu bewundern. Sie konnte es kaum glauben, dass sie die Sonnenblume so gerade hinbekommen hatte. »Sieht gut aus, oder?« Sie streute noch ein wenig trockene Erde um die Pflanzen, um ihre Spuren zu verwischen.
    »Ja, es sieht gut aus, aber ich sage dir, ich habe kein gutes Gefühl dabei.«
    »Was soll denn schlecht daran sein? Ich tue ausnahmsweise einmal etwas Gutes. Ist ja nicht, als würde ich einen Knick im Raumzeitkontinuum verursachen. Es ist gut fürs Karma.«
    »Es ist Betrug.«
    »Du sagst Tommade, und ich sage Tomahte.«
    Endlich lächelte er. Seine Schneidezähne standen ein klein wenig schief.
    Sie reckte sich und löste das Handtuch vorsichtig von Ashers Stirn. »Du wirst wohl Hilfe brauchen, um das richtig zu verbinden«, sagte sie und streifte versehentlich seine Schulter mit ihrer Brust. »Scheint so, als säße die Wunde in der Augenbraue, sodass man keine Narbe oder so was sehen wird. Tut mir wirklich leid.«
    »Mir tut’s leid, dass ich dich erschreckt habe«, sagte er.
    Cam glaubte zu bemerken, wie sein Blick weicher wurde und seine Pupillen sich weiteten. Doch dann stellte sie fest, dass sich nur eine große Wolke vor den Mond geschoben und das Licht verändert hatte.
    »Ich habe einen Erste-Hilfe-Kasten im Auto«, bot sie an.
    »Nein, lass mal, ich glaube, es ist auch einer im Kutschenhaus. Komm mit. Ich will dir etwas zeigen.« Er ging auf den Wald zu, weg vom Haus.
    »Geht es nicht da lang?« Cam zeigte auf den Vorgarten.
    »Komm mit«, beharrte er und führte sie zu einem Holzschuppen. Er schob einen Stapel Feuerholz zur Seite und brachte eine Treppe zum Vorschein, die unter die Erde führte.
    »Was ist das, eine Art Gemüsekeller? Gruselig.«
    »So was Ähnliches. Komm.« Er stieg hinunter, wobei ihm ein kleines Blutrinnsal über die Schläfe lief.
    »Das ist die Stelle im Horrorfilm, wo man dem ahnungslosen Mädchen zuschreit: ›Geh nicht da rein, du dumme Kuh! Geh da bloß nicht rein!‹ Warum sind die immer so blöd?« Hatte sie ihre Mutter nicht selbst davor gewarnt, dass Asher ein Serienmörder sein könnte?
    »Es ist vollkommen sicher.«
    »Klar. Jetzt setzt die Slasher-Musik ein. Oh, wie lustig, Slasher reimt sich auf Asher. Das wird vielleicht dein neuer Spitzname. Falls ich das hier überlebe, heißt das.« Cam folgte Asher die Treppe hinunter, hinein in einen stark erdigen Geruch. Der Treppenschacht bestand tatsächlich aus der nackten Erde, in die er hineingegraben worden war, aber als sie un ten ankam, hatte Asher ein Licht angeknipst, und sie blickte in einen hellen, geräumigen Gang, dessen weiß gekachelte Wände sie an den Lincoln Tunnel in New York City erinnerten.
    »Was soll das sein?«
    »Ein Geheimgang. Der Schuppen gehörte mal zu einer Art unterirdischer Eisenbahn, deshalb gibt es hier überall Tunnel und Verstecke.«
    »Das erklärt, wieso du manchmal aus dem Nichts auftauchst. Siehst du, es gibt für alles eine Erklärung. War deine Familie schon immer so

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