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Flamingos im Schnee

Flamingos im Schnee

Titel: Flamingos im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wendy Wunder
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Windschutzscheibe gucken konnte, fuhr sie nordwärts auf die Grundschule des Ortes zu. Seit dem vierten Juli hatte sie nicht mehr viel von den Flamingos reden hören, und sie wollte nachsehen, ob sie noch da waren und ob Buddy, das Junge, schon rosa Federn hatte und seine Beine gewachsen waren.
    Buddy war da, hockte auf dem Schlickhaufen, den seine Mutter für ihn gebaut hatte, damit er sich mit seiner zarten Haut nicht in dem säurehaltigen Schlamm suhlte.
    Cam beobachtete ihn von dem alten Holzzaun aus. »Hallo, Buddy«, sagte sie und glaubte zu sehen, dass er mit einem kleinen Flattern seiner stummeligen Brathähnchenflügel zurückgrüßte.
    Sie sah dem Schwarm eine Weile zu. Viele Flamingos schliefen auf einem Bein und hatten den Kopf weit hinten in die Schwanzfedern gesteckt. Die Beine waren im Dunkeln kaum zu sehen – nur schlafende rosa Wolken, die dicht über dem Boden schwebten. Vielleicht war es das, was sie brauchte. Schlaf. Sie würde nach Hause fahren, und am Morgen würde alles wieder gut sein.
    Als sie um die Ecke zum Parkplatz bog, stand dort ein Jeep mit laufendem Motor, dessen Türen von den Bässen der Stereoanlage vibrierten. Drinnen saß eine etwa dreißigjährige Frau mit einem blond gesträhnten Bob und blutroten Fingernägeln, die den Mann neben sich eindringlich ansah und ihm mit einer Hand durch die Haare fuhr. Vertraute, von der Sonne vergoldete Haare. Ihr anderer Arm, dünn und pilatesgestählt, war zu seinem Sitz ausgestreckt, die Hand befand sich irgendwo in seinem Schoß.
    Ach Asher , dachte Cam. Warum musste sie bloß immer Recht haben? Warum waren die Menschen so leicht zu durchschauen?
    Asher wandte den Kopf und sah Cam durchs Fenster hindurch an. Ihre Blicke trafen sich für eine Sekunde, bevor er seine Lider wie in Zeitlupe schloss und so tat, als wäre sie nicht da. Als wäre sie schon tot.
    Zurück im Auto umklammerte Cam ihr iPhone und zwang ihre Finger dazu, Lilys Nummer zu wählen. Sie brauchte jetzt jemanden, der ihre Existenz bestätigte. Der Anruf wurde direkt auf die Mailbox geleitet. Sie schrieb eine SMS und wartete zehn Minuten lang auf eine Antwort. Schließlich rang sie sich dazu durch, den Hausanschluss zu wählen. Das war das endgültige Eingeständnis ihrer Niederlage, wenn sie sogar bereit war, über die Eltern zu gehen, um mit Lily sprechen zu können.
    Kathy meldete sich nach dem sechsten Klingeln.
    »Hallo«, murmelte sie.
    »Hi, äh, tut mir leid, dass ich so spät noch anrufe.«
    »Cäihem?«
    »Ja, ich bin’s. Ich wollte fragen, ob ich mit Lily sprechen kann.« Cam schloss die Augen und stützte ihre Stirn in die Hand. Sie wollte den Anblick von Asher und dieser Frau dauerhaft aus ihrem Gedächtnis tilgen. Dazu hielt sie sich das Bild vor Augen wie ein Foto und stellte sich vor, dass sie es mit breiten Schwüngen irgendeines Photoshop-Tools auslöschte.
    »Ach Gott.« Kathys Stimme schien zu versagen, dann hörte Cam, wie sie tief Luft holte.
    »Hallo?« Als Cam die Augen wieder öffnete, sah sie links von sich die dunkle Bucht. Der gelbe Strahl des Leuchtturms schwenkte übers Meer, als würde nach Flüchtigen gesucht. Rechts von ihr schliefen die meisten Flamingos weiterhin, rosa Puderquasten, die in der Luft hingen, oder langbeinige Marionetten, die darauf warteten, dass jemand an ihren Fäden zog.
    »Campbell, Schätzchen.«
    »Ja.«
    »Süße, wir wollten dich anrufen.«
    »Warum?«
    »Lily ist heimgegangen, Schätzchen. Vor drei Tagen.«
    Cam schwieg. Eine geisterhafte Motte flatterte im anklagenden Licht der Scheinwerfer. Ein Flamingo sprach im Schlaf.
    »Campbell? Liebes?«, sagte Kathy. Cam hatte vergessen, dass sie telefonierte. »Es tut mir leid, dass ich dich noch nicht angerufen habe. Es ist nur so schrecklich schwer. Als müsste man es jedes Mal wieder von Neuem durchmachen, wenn man es jemandem sagt.«
    Cam antwortete nicht.
    »Wo bist du, Liebes? Bist du zuhause? Ist deine Mutter bei dir?«
    »Heimgehen ist Blödsinn«, sagte Cam schließlich. »Sie war doch zuhause, wie kann sie da heimgehen? Niemand weiß, wohin sie gegangen ist.«
    »Campbell, lässt du mich mit deiner Mom sprechen?«
    »Sie ist nicht hier, glaub ich.« Cam ließ das Telefon auf den Beifahrersitz fallen. Sie löste sich auf, sie trennte sich ab. Sie spürte, wie ihr Körper davonschwebte und sie zu Äther wurde. Sie war nichts. Nur eine Idee.
    Sie war fertig. Mit allem.

D REIUNDZWANZIG
    Cam hatte noch genug Gatorade im Auto, um damit die siebzehn winzigen Pillen in zwei

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