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Flamingos im Schnee

Flamingos im Schnee

Titel: Flamingos im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wendy Wunder
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großen Schlucken hinunterzuspülen. Nur zur Sicherheit, und weil sie ihr Auto mit in die Vergessenheit nehmen wollte, würde sie es zusätzlich über eine Klippe fahren.
    Die einzige Klippe, an die sie sich erinnerte, war die, von der sie mit der Seilrutsche zur Leuchtturminsel hinuntergesaust waren. Das würde dramatisch werden. Ganz großes Kino. Wie Thelma und Louise . Es war sogar Vollmond heute. Sie musste nur losfahren, bevor die Tabletten wirkten und sie nicht mehr Herr ihrer Sinne war.
    Ihre Arme fühlten sich bereits schwer an, als sie ihre scheinbar riesigen Hände aufs Lenkrad legte. Ihre Fingerspitzen prickelten, und ihre Zähne waren taub. Irgendwie schaffte sie es, ihre Bewegungen ausreichend zu koordinieren, um rückwärts vom Parkplatz zu fahren und dann die Küstenstraße hinunterzukurven, auf Archibald Light zu.
    Sie kämpfte gegen die Bewusstlosigkeit an, indem sie sich auf den rotierenden Lichtstrahl konzentrierte und sich jedes Mal ein Stück aufrichtete, wenn er ihr wieder ins Gesicht schien. Der Vollmond erhellte die Straßen, und sie ließ das Fenster herunter, damit die kühle Nachtluft hereinströmte. Wenn nur der Wagen dicht hinter ihr – bildete sie sich den ein? – sein Fernlicht ausschalten würde. Sie versuchte, ihn abzuschütteln, indem sie abrupt nach links schwenkte, ohne zu blinken, aber die hellen, blendenden Scheinwerfer blieben ihr auf den Fersen. »Schscheißscheinwerfer«, nuschelte sie. Sie war so müde. Sie drückte aufs Gas.
    Die Straße endete als Sackgasse vor dem Spielplatz. Sie rollte über die Wiese und zermalmte den blöden lila Löwenzahn unter ihren Reifen, während sie an den Schaukeln vorbei zur höchsten Stelle des Hangs fuhr und ein paar Meter vom Klippenrand entfernt anhielt.
    Unten hörte sie die Wellen gegen die Felsen donnern. Sie schloss die Augen und legte beide Hände ans Lenkrad. »Ich liebe dich, Cumulus«, sagte sie. »Jetzt mach bloß nicht einen auf Herbie der tolle Käfer und versuch, mich zu retten.« Dann senkte sie den Fuß aufs Gaspedal. »Guter Junge«, sagte sie, als Cumulus einen Satz machte und lossauste wie ein Jet.
    Cam hörte das Brausen des Windes und dann zehn Sekunden lang gar nichts und dann einen ohrenbetäubenden Knall, der wohl von ihren alle auf einmal brechenden Knochen kam. Sie vernahm ein Zischen, das vielleicht das Leben war, das aus ihr entwich, oder auch nur das Rauschen der Wellen.
    Noch mit geschlossenen Augen spürte sie den Strahl des Leuchtfeuers periodisch über sich hinwegschwenken. Sie wartete darauf, dass das Blinken aufhörte und der berühmte Tunnel und das helle Licht des Jenseits vor ihr auftauchten.
    Dann hörte sie, wie jemand ihren Namen rief.
    Cam erwachte in einer Lache ihrer eigenen violetten Gatorade-Kotze. »Welches Genie ist auf die Idee gekommen, Erbrechen herbeizuführen?«
    »Tja, das war ich. Ich habe das leere Tablettenfläschchen gesehen.« Ashers Stimme drang als Echo zu ihr, als käme sie von ganz weit weg.
    »Asher, der Retter in der Not«, sagte Cam matt. »Hast du wenigstens meinen Kopf in die Seitenlage gebracht?«
    »Natürlich. Grundkurs Erste Hilfe.«
    »Wo ist die Tusse?«, fragte sie, als ihr plötzlich einfiel, wo sie ihn zuletzt gesehen hatte.
    »Nach Hause«, antwortete er und hob ihr schmales, schlaffes Handgelenk an, um ihren Puls zu fühlen. Seine Finger strichen sanft über die Vene und übten dann Druck aus.
    Cam zog ihre Hand weg.
    »Ich will doch nur deinen Puls messen.«
    »Nein, das kann ich selbst.« Cam versuchte vergeblich, ihren rechten Arm vom Boden zu heben.
    »Entspann dich, ich mach das schon.« Er streichelte die Unterseite ihres Handgelenks, und sie spürte ein angenehmes Prickeln im Arm.
    Geschlagen legte sie ihren Kopf in das kühle, feuchte Gras und starrte in den dunklen Nachthimmel hinauf. Sie machte kurz die Augen zu, und als sie sie wieder aufschlug, sah sie es. Ein funkelnder Regenbogen wölbte sich langsam über das schwarze Himmelszelt. Sie blinzelte, doch er war immer noch da. Die Farben leuchteten strahlend eine volle Minute lang, ehe sie zu Pastelltönen verblassten.
    »Hast du das gesehen?«, fragte sie Asher.
    »Was?«
    Sie war froh, dass er den Regenbogen nicht bemerkte und ihn sofort mit den Orcas und dem lila Löwenzahn und den magischen Sonnenuntergängen in einen Topf warf. Das war ihr Erlebnis, ihre ganz persönliche Erfahrung. Eine Botschaft von Lily.
    »Schon gut. Was ist passiert?« Abgesehen davon, dass sie sich schwer und benommen

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