Flamingos im Schnee
Sie, dass wir Zufällen besondere Aufmerksamkeit schenken sollten?«
»Was glaubst du denn?«
»Woher wusste ich nur, dass Sie das sagen würden? Mom? Kannst du mich bitte vor diesem Id-, äh, vor diesem netten Mann hier retten?« Man brauchte sich nur klarzumachen, wer in solchen Situationen die Macht hatte.
»Ich genieße es, dich leiden zu sehen, Campbell.«
»Warum?«
»Warum? Das fragst du noch? Campbell Maria Cooper …« Die Stimme ihrer Mutter brach, und sie schüttelte den Kopf.
»Was ist?«, fragte Cam. »Wein bitte nicht.« Es war ihr unmöglich, nicht zu weinen, wenn ihre Mutter weinte, was an dieser Sache mit dem erstgeborenen Kind und der emotionalen Nabelschnur lag.
»Campbell, ich habe dich nie, niemals auch nur für einen Moment aufgegeben.«
»Das stimmt«, sagte Cam.
»Egal, was war.«
»Ich weiß.«
»Es ist, als wärst du mein Herz, das außerhalb meines Körpers schlägt.«
»Was bin ich dann, deine Leber?«, grummelte Perry.
»Nein, du bist auch mein Herz. Mein zweites Herz.«
»Von mir aus«, sagte Perry.
Alicia legte ihr Strickzeug beiseite und stand auf. »Cam, letzte Nacht hast du aufgegeben. Du hast mich aufgegeben. Uns alle. Alles. Du hast mir das Herz gebrochen. Ich konnte es nicht fassen, dass du uns das antust.«
»Ich habe das niemandem angetan , Mom. Ich habe es einfach getan. Ich musste irgendetwas tun. Es tut mir leid.« Nach einem Augenblick lastenden Schweigens fügte sie hinzu: »Ich war angeschnallt.«
»Oh, großartig! Danke, Campbell. Doktor Zimquist, ich denke, wir können aufatmen. Sie war angeschnallt. Dann ist ja alles gut.« Ihre Mom lachte unter Tränen und umarmte Cam.
»Lily«, platzte Cam heraus, als sie ihren Kopf an ihre Mutter schmiegte und in Tränen ausbrach.
»Ich weiß, mein Schatz, ich weiß«, sagte Alicia.
Perry kam zum Bett und schloss sich der Familienumarmung an.
Nach einer Weile sah Alicia auf. »Dr. Zimquist, ich denke, das ist das, was Sie in Ihrer Branche einen Durchbruch nennen. Wir kommen immer ziemlich schnell an diesen Punkt, weil wir keine Zeit für jahrelange Therapien haben. Können Sie bitte die Papiere ausfüllen?«
V IERUNDZWANZIG
Es waren zwei Tage vergangen, seit ihr der Magen ausgepumpt worden war, und das ganze Erlebnis hatte sie ein wenig zurückgeworfen. Sie hatte sich an eine gewisse Fülle und Bräune gewöhnt, seit sie in Promise war. Sie hatte zugelegt. Ihre Gelenke traten nicht mehr ganz so eckig hervor, und ihre Haut hatte wieder ihre natürliche Farbe angenommen. Doch seit dem Vorfall war sie blass und schwach und fror andauernd.
Cam saß unter sieben Decken in ihrem Bett im Witwengang und schaute The Sound of Music auf ihrem Laptop. Menschen, die sie gut kannten – die Liste umfasste Lily und … Lily –, wunderten sich immer, dass der zu ihren Lieblingsfilmen gehörte.
Natürlich gab es Filme, die sie lieber mochte: Chinatown , Ghost World , Best in Show , Asphalt-Cowboy , Citizen Kane , Vergiss mein nicht! . Sogar ein paar Musical-Filme gefielen ihr besser, zum Beispiel Ein Amerikaner in Paris oder selbst Dirty Dancing – Patrick Swayze, Friede seiner Seele.
The Sound of Music aber war der Film, der sie wieder zu sich selbst brachte. Auf den sie zurückgriff, wenn sie das Bedürfnis hatte, die Welt auszusperren, das Leben zu entschleunigen und wieder von vorn anzufangen. Das hatte etwas damit zu tun, dass in den fröhlichen, hoffnungsvollen Melodien, die die Handlung begleiteten, stets ein Unterton von Traurigkeit mitschwang. Es erschien ihr realistisch, dass die Traurigkeit allgegenwärtig war, auch im Glück.
Sogar die glückliche Szene am Ende, als die Trapp-Familie über die Alpen in die Freiheit flüchten und Christopher Plummer Gretl auf seinen Rücken nimmt, ist durchzogen mit der Trauer darüber, dass sie ihre Heimat verlassen müssen.
Cam hatte ihn schon zweihundertsiebenundfünfzig Mal gesehen.
Sie zog die siebte Decke ganz bis zum Kinn und ihre Ärmel bis über die Hände herunter. Vielleicht können Hoffnung und Traurigkeit nebeneinander existieren , dachte sie. Das schien ihr ein bedeutsamer Gedanke zu sein. Vielleicht konnte sie Hoffnung haben, ohne diesen beträchtlichen Anteil von sich zu verleugnen, der traurig sein wollte. Sie brauchte das eine nicht für das andere zu opfern. Möglicherweise waren ja alle Menschen hoffnungsvoll und traurig zugleich, in jedem Moment ihres Lebens.
Julie Andrews begann mit ihrem Marionettentheater und dem Song Lonely Goatherd und gewann den
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