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Flamingos im Schnee

Flamingos im Schnee

Titel: Flamingos im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wendy Wunder
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woraufhin Cam ihr versprochen hatte, am Abend abzureisen, aber sie konnten nicht gehen, ohne vorher die Welt gesehen zu haben.
    Die Wartezeit für die Themen-Bootsfahrt It’s a Small World betrug fünfundzwanzig Minuten, was gar nicht so schlecht war. Während sie sich in der Schlange voranschoben und sich mit ihren Parkplänen Luft zufächelten, bestürmte Asher sie mit Fragen zu The Spirit of Aloha , dieser seltsamen Subkultur innerhalb einer Subkultur, in der sie aufgewachsen war.
    »Es kommt mir so komisch vor, dass ihr eure Kultur aufführt, statt sie zu leben«, sagte er.
    »Na ja, es ist so ähnlich, wie Sly Stallone seine Vorberei tung auf Rocky beschrieben hat«, erklärte Cam. »Manche Leute arbeiten von außen nach innen und andere von innen nach außen. Er musste sich zuerst Rockys Körper zulegen und sich wie Rocky anziehen und wie Rocky reden, bevor er fühlen konnte, wer Rocky war. Ein anderer Schauspieler würde sich zuerst in Rocky einfühlen und dann anfangen, sich wie er anzuziehen. Genauso fühlen sich manche Leute einfach als Polynesier, und das bewegt sie zum Tanzen, während andere, wie ich, tanzen, um sich mehr als Polynesier zu fühlen. Es ist egal, wie man an die Sache herangeht, das Ergebnis ist das gleiche.«
    »Jetzt muss ich mir Rocky nochmal ansehen.«
    »Ich weiß, ich auch. Du hast mir gar nicht zugehört, oder?«
    »Nein, ich habe an Rocky g edacht.«
    Sie brachten die letzte Windung der Warteschlange hinter sich. Cam zwinkerte einem kleinen Jungen ganz vorn zu, der trotz wiederholter Warnungen, es nicht zu tun, am Geländer schaukelte. Endlich waren sie an der Reihe, in eines der Boote zu steigen. Sie schoben sich durch das Drehkreuz, betraten den Ponton und rutschten auf eine der nicht überdachten Sitzbänke. Dann ging es los auf Weltreise. Es war eine süßliche Welt, die sich ihnen bot, als wäre die ganze Anlage aus Zucker gemacht. Sobald sie in den Tunnel fuhren, wurden sie von einem Spektakel aus knalligem Rosa, kräftigem Orange, glänzendem Gold und flirrendem Silber überfallen. Ein Wunderland aus Pappmaché. Ein Superdiorama mit lebensgroßen, beweglichen Teilen.
    Als Kind war Cam fasziniert von der Vorstellung, dass Kinder in anderen Ländern andere Kleider trugen, andere Speisen aßen und andere Sprachen sprachen. Das kam ihr wie ein echtes Wunder vor. Die platten Stereotypen der Fahrt, die hemdlosen afrikanischen Kinder, die auf dem Rücken einer Giraffe trommelten, die südamerikanischen Frauen, die Obstkörbe auf ihrem Kopf trugen, oder die Französinnen, die ihre Röcke beim Cancan schwangen, erschienen ihr als ein Lobgesang auf die wunderbar vielfarbige Welt.
    Stereotypen kommen bei Kindern gut an , erkannte Cam, weil bei ihnen noch diese grundlegende Einsicht vorhanden ist, dass kein Mensch weniger wert sein kann als ein anderer . Und diese Bootsfahrt erinnerte einen wieder daran.
    Sie befanden sich gerade in Indien, wo eine Reihe von Frauen in Saris anmutig von einem strahlend weißen Taj Mahal mit seinen aus Tüchern bestehenden Kuppeln nach Hause gingen. Asher grinste breit, vollkommen einverstanden mit dem Spektakel. Er bemerkte weder die Ausgangszeichen über den verborgenen Seitentüren der Halle noch den Handwerker, der in einer Ecke eine Glühbirne auswechselte.
    »Na, weckt das deine Wanderlust, Batman?«, neckte Cam ihn und nahm seine Hand.
    »Ein bisschen«, gab er zu. Dann: »Ich habe tatsächlich ein Stipendium bekommen, weißt du.«
    »Dachte ich’s mir doch«, sagte Cam, als sie von den riesenhaften Schattenpuppen Indonesiens zu den Geishas in Japan weitertrieben.
    »Ja. Vom Boston College.«
    »Wirst du es annehmen?«
    »Für mich ist das wie eine Entscheidung auf Leben und Tod.«
    »Das ist es nicht. Du kannst jederzeit nach Hause zurückkehren. Du solltest es auf jeden Fall versuchen.«
    »Die Welt ist klein«, sagte Asher.
    »Genau«, stimmte Cam zu.
    Im selben Moment jedoch hatte sie eine Vision von Ashers Leben im College: wie er zusah, wenn seine Mannschafts-kameraden ihre Carepakete von ihren Müttern zuhause aufmachten, und wie er sich einsamer fühlte denn je. Das war zu traurig. »Elaine wird dir Päckchen schicken«, murmelte sie.
    Dann stellte sie sich die Alternative vor. Asher, der in Promise blieb, das Footballteam der Highschool trainierte, mit den Cheerleaderinnen flirtete, sich das eine oder andere Bierchen genehmigte. Zuerst in Maßen, dann ein Sixpack jeden Abend, wenn er in seinem Fernsehsessel saß und darüber

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