Flamme der Freiheit
gespendet.«
»Warum musst du dieses Gedicht ausgerechnet heute zitieren?«, fragte Graf Ludovic. Er schickte sich an, seinen Marsch wieder aufzunehmen.
»Du machst mich ganz nervös. Kannst du dich nicht einfach einmal ruhig hinsetzen? Was wolltest du eigentlich mit mir besprechen? Es scheint dir ja ziemlich dringend zu sein.« Gräfin Dorothea wurde ungeduldig.
»Ja, es ist auch dringend«, bestätigte der Graf. Ihm war offensichtlich noch unbehaglicher geworden. Er räusperte sich.
»Nur zu, keine Hemmungen, wir kennen uns schließlich schon ein Weilchen«, ermunterte ihn seine Frau.
Sekundenlang zuckte es um seine Mundwinkel, dann wurde er wieder ernst. »Ich möchte, dass du so schnell wie möglich, am besten noch Ende der Woche und nicht erst Mitte Juni, dein Domizil nach Sophienhof verlegst«, stieß er hervor.
»Warum sollte ich das tun?«
»Weil die Lage hier in Berlin immer unübersichtlicher wird, und weil ich denke, dass du da draußen in der Abgeschiedenheit der ländlichen Umgebung von Sophienhof sicherer bist«, entgegnete Graf Ludovic. Gräfin Dorothea richtete sich aus ihren weichen Kissen auf und fixierte ihn. Er erwiderte ihren Blick. Dann war sie es, die den Blick senkte.
»Du rechnest also mit dem Schlimmsten«, sagte sie leise. »Sogar mit einer feindlichen Invasion?«
»Noch viel schlimmer, nämlich mit einer Invasion unserer Verbündeten«, grollte der Graf. »Man hat mich überraschend kurzfristig einberufen. Nächste Woche muss ich nach Hannover, um dort die unwilligen Rekruten zu bändigen. Es kann nicht gut um die preußische Armee stehen, wenn die oberste Heeresleitung unverzichtbar auf die Dienste eines solch alten Mannes wie mich angewiesen ist.«
»Aber Erlaucht«, hub Eleonora pflichtschuldigst an. Nein, nicht pflichtschuldig, sondern überzeugt, denn Graf Ludovic war wirklich mehr als nur rüstig.
Ungeduldig wehrte dieser ab. »Liebes Kind, deine Höflichkeit in Ehren, aber was wahr ist, muss wahr bleiben. Ich habe den Zenit meines Lebens längst überschritten. Es liegt nur nicht in meinem Naturell, mich faul auf die Bärenhaut zu legen«, sagte er und nahm seinen Marsch wieder auf.
»Schade, wirklich bedauerlich, dann würden diese vielen im Verlauf der Jahrzehnte angesammelten Felle ja endlich einen Zweck erfüllen«, entgegnete seine Gattin spitz.
Der Graf lachte dröhnend, trat an den Rand des Bettes und schaute auf sie hinab. »Du bist einfach unverbesserlich«, stellte er fest. Tiefe Zuneigung spiegelte sich in seinen Zügen, die Eleonora gleichfalls im Lächeln der Gräfin entdeckte.
Einladend klopfte diese nun auf die Bettkante. »Setz dich zu mir«, forderte sie ihn auf. »Lass uns gemeinsam den nächsten Sommer planen. Wirst du diesen wenigstens zum Teil auf Sophienhof verbringen? Es wäre mir eine Freude, denn wie du es ganz richtig siehst, viel Zeit verbleibt uns nicht mehr.«
Auf Zehenspitzen verließ Eleonora den Raum, um den Grafen und die Gräfin sich selbst zu überlassen.
Es schien, als ob das Alter diese beiden Menschen einander nochmals entdecken und sie auf neue Weise zueinanderfinden ließ. Niemals zuvor hatten sie miteinander korrespondiert. Fortan berichtete Graf Ludovic seiner Gattin jedoch getreulich von seinem langweiligen und dennoch anstrengenden Alltag als preußischer Kommandeur in Hannover. Als Unterpfand für seine Neutralität hatte Preußen das norddeutsche Königreich von Napoleon »geschenkt« bekommen. Wegen ihrer engen Verbindungen zu dem von Napoleon so leidenschaftlich gehassten England waren die Hannoveraner alles andere als begeistert davon. Entsprechend gering war dann auch die Bereitschaft der jungen Männer, fortan dem preußischen König ihre Militärdienste zu erbringen. Für Graf Ludovic war es genauso quälend wie für alle anderen Anhänger der »Kriegspartei«, sich seit Jahren wie ein an die Kette gelegter Löwe fühlen zu müssen. Trotz ihrer angegriffenen Gesundheit sollte mittlerweile sogar Königin Luise ihren Mann unverhohlen aufgefordert haben, sich endlich aus Napoleons Zwangsjacke zu befreien und in Opposition zu ihm zu gehen. Wie viele andere war sie der festen Überzeugung, im Verein mit England, Russland und Österreich dem französischen Kaiser die Stirn und damit Einhalt bieten zu müssen. Allein, der König zögerte immer noch.
Graf Ludovic machte in seinen Briefen kein Hehl daraus, was er davon hielt, während Gräfin Dorothea in den Briefen ihrer alten Freundin Gräfin von Voss zwischen den Zeilen
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