Flamme der Freiheit
lesen musste. Auch sie schien mehr der Gruppe eines von Hardenberg und von Stein, die sich um Königin Luise sammelten, zugeneigt, aber noch wichtiger war ihr der Gesundheitszustand ihrer Herrin. Voller Freude berichtete sie, wie diese sich bei ihrer Badekur in Pyrmont erhole, Mann und Kinder jedoch schmerzlich vermisse.
18
D er Prewitzsche Haushalt hatte mittlerweile Einzug auf Sophienhof gehalten. Nach ein paar kühlen verregneten Tagen wurde es ein heißer wunderschöner Sommer. Stundenlang schlenderte Eleonora durch die Felder und Wiesen und suchte in den schwülen Mittagsstunden die Kühle der schattenspendenden Bäume eines nahe gelegenen Buchenwalds. In den frühen Morgenstunden ritt sie aus, meist alleine, manchmal auch begleitet von Anton, soweit die Pflichten als Kutscher ihm die Zeit dafür ließen. Madame Hortense war wie üblich im Stadtpalais geblieben. So dauerte es nur wenige Tage, bis Emma und Paula sich ihrer strengen Zofentrachten entledigten und in einfachen Küchenkleidern ihre Dienste verrichteten. Sie schlüpften in ihre alten Holzpantinen, und wenn diese ihnen zu schwer wurden, liefen sie barfuß. Mit dem Ablegen ihrer Dienstkleidung schienen sie auch ihre gestelzte Sprache verloren zu haben. Wie oft hörte Eleonora sie singend und lachend über Treppen und Gänge laufen, vernahm aus der Küche ihre alten wehmütigen Volksweisen, manchmal unterbrochen von einem Befehl oder Schelten von Babette.
Es war wie in alten Zeiten und dennoch ganz anders. Eine Art Lähmung schien über dem ganzen Land zu liegen, eine angstvolle, lauernde Erwartung. Eleonora fühlte sich manchmal seltsam bedrückt, dann wieder voller Zuversicht und Vorfreude, denn im kommenden Herbst sollte sie endlich als Opernsängerin debütieren. Zwei Tage vor ihrer Abreise hatten Gräfin Dorothea und Eleonora noch die Uraufführung von Friedrich Heinrich Himmels Oper
Sylphen
besucht. Als der königliche Kapellmeister in der langen Pause nach dem zweiten Akt der Gräfin von Prewitz zu Kirchhagen in ihrer Loge seine Aufwartung machte, hatte er von selbst seine Rede darauf gebracht.
»Und ich weiß auch schon, in welcher Oper Sie debütieren sollen«, sagte er. »Auf allerhöchsten Wunsch«, setzte er bedeutungsvoll hinzu.
»Auf wessen Wunsch denn?«, wollte Gräfin Dorothea wissen, die manchmal von herzerfrischender Neugierde sein konnte. Aber der Kapellmeister hatte nur den Zeigefinger auf die Lippen gelegt und geheimnisvoll gelächelt.
Drei Wochen nach Ankunft auf dem Sophienhof war Anton mit einem großen, gut verschnürten Umschlag aus Berlin zurückgekehrt. Er war an Eleonora Prohaska adressiert.
»Für mich?«, vergewisserte sich diese verwundert. Wann erhielt sie schon einmal persönliche Post? Vielleicht ein-, zweimal im Jahr rang sich ihr Vater in Potsdam ein paar Zeilen an sie ab. Mit dem Schreiben war er noch karger als mit dem Reden. »Von wem mag dieser Umschlag sein?«, fragte sie sich und drehte ihn um. Erst jetzt entdeckte sie das dicke Siegel auf der Rückseite. Sie erbrach es.
»Jetzt kannst du kaum mehr erkennen, wessen Siegel es war«, stellte Anton trocken fest.
»Das wird sich aus dem Begleitschreiben ergeben«, erwiderte Eleonora und riss das feste Packpapier auf, so heftig, dass der Inhalt des Umschlags zu Boden fiel. Ein dicker Stapel bedruckter Blätter. »So was Dummes!«, rief sie ärgerlich.
Anton kniete schon nieder, um die Papiere aufzuheben. Auffällig unauffällig hatte er nach Übergabe der Sendung in ihrer Nähe verharrt, denn auch er war nicht gegen Neugierde gefeit. Nun stand er wieder auf und drückte Eleonora den Papierstapel in die Hand. »Das sind doch nur Noten«, sagte er enttäuscht. »So was Langweiliges.«
»Noten sind doch nicht langweilig«, widersprach Eleonora heftig. Sie warf einen Blick auf die Notenblätter und stellte fest, dass sie beim Herunterfallen völlig durcheinandergeraten waren. »Die muss ich ordnen, das mache ich am besten in meinem Zimmer.«
Anton zuckte mit den Schultern, verneigte sich leicht und entschwand.
Eleonora begab sich in ihr kleines, so vertrautes Zimmer und legte den Papierstapel auf den Tisch. Es dauerte eine Weile, bis sie die Blätter wieder in die richtige Reihenfolge gebracht hatte. Die Sendung bestand aus zwei Teilen, einer Partitur für Orchester und den Noten für eine Singstimme. Und dann entdeckte sie das Deckblatt und fuhr zusammen. »
Fidelio«
las sie. »Eine Oper von Ludwig van Beethoven.« Vergeblich durchsuchte sie den
Weitere Kostenlose Bücher