Flamme der Freiheit
seiner Großmutter, steigerte sich immer wieder in einen Furor der Erregung und erging sich in nicht enden wollenden Tiraden gegen Napoleon Bonaparte, »diesen Diktator in seiner lächerlichen Konsulrobe«, bis ihm die Gräfin schließlich das Wort entzog.
»Mein lieber Alexander, du hast dich die letzten Tage nun genügend echauffiert. Es wird Zeit, dass du an etwas anderes denkst und dich einer neuen Herausforderung stellst. Ich denke, unser Maestro hat da die richtige Aufgabe für dich«, wies sie ihren Enkel energisch an der abendlichen Tafel zurecht. »Du wirst morgen an den Proben für unsere sommerliche Opernaufführung teilnehmen. Die Partie des Orpheus liegt dir ausgesprochen gut. Du hast dich deshalb morgen früh um sechs Uhr bei Maestro Farini zum Einsingen im Musikpavillon einzufinden.«
Wenn Gräfin Dorothea so sprach, war es wie ein Befehl, dem sich kein Mensch zu widersetzen wagte, auch nicht ihr temperamentvoller Enkel.
Nun ging Eleonora auf, dass die Entscheidung für die Besetzung ihres Bühnenpartners ein lange zwischen der Gräfin und dem Maestro abgekartetes Spiel darstellte. Der Besuch des jungen Grafen hatte bereits seit Monaten festgestanden. Erst jetzt verstand sie, warum der Maestro niemals ernsthaft nach einem geeigneten Sänger des Orpheus Ausschau gehalten hatte.
Die energischen Worte von Gräfin Dorothea bekräftigte Maestro Farini mit einem bestätigenden Kopfnicken. »Spero, Sie haben nicht dimenticato troppo«, sagte er und verneigte sich vor dem jungen Grafen.
Dieser lachte. »Wie werde ich Ihre Lektionen vergessen können, Maestro? Nach dem jahrelangen Säbelrasseln tut mir das Singen sogar ganz gut«, räumte er überraschend bereitwillig ein. Wie seine Schwestern hatte auch Alexander von Kind auf regelmäßigen Musikunterricht erhalten und wie diese immer viel und gerne gesungen.
Pünktlich erschien er am nächsten Morgen zu den Proben im Musikpavillon, wo der große Flügel des Maestro stand.
Welch ein Unterschied, welch eine Umstellung für Eleonora, beim Singen nicht mehr die weiße, verrutschte Perücke, die der Maestro, in hartnäckiger Verbundenheit zum Ancien Régime, noch immer trug, anstarren zu müssen. Ihr reichte der kleine Neapolitaner gerade mal bis zur Schulter. Ganz anders hingegen Alexander, zu dem Eleonora trotz ihres hohen Wuchses immer noch aufschauen musste.
Als sie zum ersten Mal sein flehendes »Eurydike« vernahm, schnitt es ihr tief ins Herz.
Alexander ging voll in seiner Rolle auf. Seine Stimme war nicht groß, aber angenehm, von einem samtigen Klang, der in Eleonoras Innerem eine Saite zum Schwingen brachte, von der sie bislang nichts ahnte. Die Unvollkommenheit seiner Stimme verstand der junge Graf mit erstaunlich schauspielerischem Können hervorragend auszugleichen. Er spielte nicht den tragischen griechischen Helden, sondern er verkörperte Orpheus mit Leib und Seele. Schon bei den Proben rührte er seine Schwestern, ja, sogar den alten Maestro zu Tränen. Auch Eleonora fühlte sich innerlich von seiner Darstellung zutiefst aufgewühlt und erschöpft zugleich. Dieser Abend hatte alles von ihr verlangt, was eine Sechzehnjährige zu geben vermochte. Am liebsten hätte sie sich nach der fünften Zugabe und der letzten Verneigung auf der Bühne auf ihr Zimmer zurückgezogen. Aber nach der Aufführung hatte es ein aufwendiges Dinner gegeben, dem sich jetzt noch der Mitternachtsball anschließen würde.
Gräfin Dorothea war nach der letzten Zugabe persönlich in der provisorischen Künstlergarderobe des Gartenpavillons aufgetaucht, um Eleonora zu ihrer gelungenen Leistung zu beglückwünschen. Als besondere Überraschung hatte sie ihr ein wunderschönes cremefarbenes Ballkleid mitgebracht. Eigenhändig half sie Eleonora dabei, sich einzukleiden.
»Nach dem neuesten Pariser Schnitt von einer jungen französischen Schneiderin angefertigt«, erzählte sie begeistert. Behutsam zupfte sie den weich fallenden Mousselinestoff zurecht. »Jetzt noch ein Band in die Haare geschlungen, und du könntest Königin Luise Konkurrenz machen«, schmeichelte sie ihrem Schützling und trat bewundernd einen Schritt zurück. »Weißt du eigentlich, wie schön du bist, Eleonora?«
»Jetzt übertreiben Sie aber, Madame«, wehrte Eleonora errötend ab. Die junge schöne Königin Luise war eine der wenigen hohen Damen, die vor den kritischen Augen der Gräfin Bestand zu halten vermochte.
An diesem Abend schien jedoch ihr Schützling der jungen preußischen Königin den
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