Flamme der Freiheit
seiner Unschuld natürlich.
Da Eleonora ihrem neuen Dienstherrn von Beginn an als gebildete Frau begegnet war, musste sie sich diesmal auch nicht vor seiner Bibliothek hüten. Im Gegenteil, schließlich war sie ja als Vorleserin engagiert worden. Aber darauf beschränkte sich ihre Arbeit keineswegs. So nach und nach wuchs sie in die Rolle einer Privatsekretärin und Gesellschafterin hinein. Ja, wenn sein Bürovorsteher krankheitshalber nicht in der Kanzlei erschien, diktierte Hedebrink ihr sogar seine Schriftsätze und ließ sich Fachartikel aus seinen Zeitschriften vorlesen. Ohne es zu bemerken, arbeitete sich Eleonora so in ein völlig neues Wissensgebiet ein.
Hedebrink verwickelte sie auch gerne in politische Dispute. Nach seiner Vorlesestunde überließ er ihr bereitwillig die aktuellen Zeitungen und Magazine zur eigenen Lektüre und wollte hinterher mit ihr über das Gelesene reden. Er forderte sie heraus, ermunterte sie, eine eigene Meinung zu entwickeln, und mokierte sich dezent über ihre ungebrochene Verehrung des preußischen Königshauses. Zu gerne wies er sie darauf, dass man sich in allerhöchsten königlichen Kreisen politisch uneins war.
»Welcher Partei gehören Sie denn an, meine Liebe. Wie finden Sie es überhaupt, dass man Ihre geliebte Königin zu einem Treffen mit Napoleon gezwungen hat?«, versuchte er sie zu provozieren.
»Ich bin der festen Überzeugung, dass man sie nicht gezwungen hat, sondern dass es ihr eigener Wunsch war, obwohl es sie bestimmt große Überwindung gekostet haben muss«, entgegnete Eleonora. Sie bewunderte die Königin dafür, dass diese die Anregung des geschätzten Fürsten Hardenberg aufgegriffen und sich auf dieses Treffen eingelassen hatte, denn der französische Kaiser hatte sie schon seit Jahren als Kriegstreiberin und hasserfüllte Amazone verleumdet. Sogar ihre Schönheit machte er ihr zum Vorwurf, denn die sei »für die Völker Preußens ebenso verhängnisvoll wie Helena den Trojanern«.
Während der bereits jetzt als historisch geltenden Begegnung in Tilsit hatte er Luise dennoch die einer Königin gebührende Höflichkeit bezeugt, sich jedoch geweigert, mit ihr über die politische Lage zu reden. Aber Luise blieb von charmanter Hartnäckigkeit. Auch als er ihr ein Kompliment für ihr schönes Kleid machte, lenkte sie das Gespräch geschickt wieder auf das eigentliche Thema zurück, um dem Kaiser einige Zugeständnisse abzuringen. Ihn ließ der Liebreiz der Königin nicht unberührt. Auf ein unverbindliches »Wir wollen sehen« hatte er sich schon eingelassen. Wer weiß, was Luise noch alles für ihr geliebtes Preußen hätte erreichen können, wäre nicht überraschend ihr Mann hinzugetreten. Der perfekte Zeitpunkt. Für den französischen Kaiser, nicht für Friedrich Wilhelm und sein Königreich. »Er erschien zur rechten Zeit. Eine Viertelstunde später, und ich hätte der Königin alles versprochen«, vertraute Napoleon noch am selben Abend Zar Alexander an.
Inzwischen war das Königspaar wieder nach Berlin zurückgekehrt, aber noch immer erging man sich in wilden Spekulationen, was hätte geschehen können, wäre der unglückliche König nicht so unbeholfen in diese hochbrisante Unterredung geplatzt. Wäre der von Napoleon diktierte Vertrag von Tilsit für Preußen eventuell nicht so vernichtend ausgefallen? Nur der Loyalität des russischen Zaren gegenüber seinem preußischen Verbündeten habe Friedrich Wilhelm zu verdanken, dass er ihn nicht endgültig in die Knie zwang und sein Königreich vernichtete, behauptete der kleine Korse. Die schlimmste aller Demütigungen für den Hohenzollern war, als Napoleon ihn hochfahrend beschied, mit ihm überhaupt nicht, sondern ausschließlich mit Zar Alexander verhandeln zu wollen. War es ein Wunder, dass Luise krank an Leib und Seele aus ihrem Exil im kalten Osten in die Heimat zurückkehrte?
Eleonora litt mit ihrer Königin. Nicht im Traum dachte sie jedoch daran, Karl Friedrich Hedebrink gegenüber jemals zu erwähnen, dass sie dem Königspaar einmal persönlich begegnet war. Aber in allen Debatten kam doch immer wieder unterschwellig ihre Verehrung für die beliebte Königin zum Ausdruck. Im gleichen Maße wuchs ihre Abneigung gegen Napoleon, die sich allmählich zu einem brennenden Hass steigerte.
Der französische Kaiser hatte das Land nun auch schon lange genug gequält und gedemütigt. Obwohl offiziell ihr Abzug längst beschlossen war, schien sich die französische Besatzung immer breiter zu machen.
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