Flamme der Freiheit
blättern. Sie suchte eine Stelle, die ihr zusagte. Schließlich hatte sie eine gefunden. Sie überflog den Absatz, dachte nach, sortierte im Geiste Worte und Sätze. »Ohne Sie in einen unwürdigen Weihrauch zu hüllen, kann ich Ihnen versichern, dass ich in Ihren Werken Schönheiten sonder Zahl entdecke«, übersetzte sie dann ruhig.
»Das war aus dem allerersten Brief, den Friedrich als junger Kronprinz an den verehrten Voltaire schrieb«, unterbrach sie der Fremde.
»Richtig«, bestätigte Eleonora lächelnd und blätterte weiter.
»Sie haben eine sehr schöne Stimme«, stellte er fest. »Ihre französische Aussprache ist geradezu perfekt«, setzte er hinzu.
»Das habe ich Madame Hortense zu verdanken«, entfuhr es Eleonora spontan.
»Wer ist Madame Hortense?«, erkundigte sich der Fremde prompt.
Verflixt, schon wieder war sie drauf und dran gewesen, sich zu verraten.
»Die französische Gesellschafterin einer meiner letzten Dienstherrinnen«, log sie rasch.
»Sie waren schon häufiger in Stellung? Als was haben Sie denn gearbeitet?«, erkundigte er sich nun.
»Als Küchenmädchen, als Haushälterin, als Köchin, als Wäscherin«, zählte Eleonora rasch auf.
»Und als Vorleserin?«, unterbrach er sie. Eleonora hielt in ihrer Aufzählung inne und sah ihn erstaunt an. »Wie heißen Sie überhaupt?«, wollte er nun wissen.
»E… Christine«, verbesserte sie sich rasch.
»Verzeihung, dass ich mich noch nicht vorgestellt habe, mein Name ist Karl Friedrich Hedebrink«, stellte er sich nun vor. »Ich bin auf der Suche nach einem neuen Vorleser oder einer Vorleserin, denn mein Student ist mittlerweile mit seinen Studien so gut wie fertig und wird als frischgebackener Assessor nach Stralsund gehen. Möchten Sie seine Nachfolgerin werden?«
»Ja«, sagte Eleonora kurz und bündig. Ihre rasche Zusage war aus der Not geboren. Sie hätte sich keine drei Tage länger finanziell über Wasser halten können. So hatte sie sich bei dieser spontanen Entscheidung keinerlei Gedanken darüber gemacht, ob im Hause ihres neuen Dienstherrn ihr Inkognito bewahrt werden konnte oder ob Hedebrink mit seinem feinen Instinkt sofort das sie umgebende Geheimnis erahnte.
»Darf ich Sie denn zu einer Tasse Tee einladen«, schlug er vor. »Dann können wir die weiteren Modalitäten miteinander bereden. Ich bin übrigens Junggeselle. Würden Sie dennoch mit mir unter einem Dach leben?«
»Mein letzter Dienstherr war ein Witwer«, entgegnete Eleonora trocken. Hedebrink lachte.
»Können Sie sich vorstellen, auch außerhalb Berlins zu leben, draußen in Hohenschönhausen?«, erkundigte er sich.
»Ja«, antwortete Eleonora schlicht.
»Gut, dann lassen Sie uns aufbrechen«, sagte ihr künftiger Dienstherr und erhob sich. Galant reichte er ihr den Arm.
»Lassen Sie uns Richtung Glienicke gehen und dort einkehren. Gegen Abend werde ich dort von meinem Kutscher erwartet, der mich nach Hause bringen soll. Sie können dann ja gleich mit hinausfahren.«
Schon bei diesem ersten gemeinsamen Tee sprach Hedebrink sie direkt an.
»Sie haben ein Geheimnis, Christine«, sagte er. »Ich bin mir sicher, dass dieser Name auch nicht Ihr richtiger Name ist. Aber Sie werden Ihre Gründe dafür haben, sich so zu nennen. Ich werde niemals versuchen Sie auszufragen, sondern Ihnen Ihr Geheimnis lassen. Ich habe Ihre Stimme gehört, und Stimmen können nicht lügen. Sie sind eine aufrichtige ehrliche Frau, wenn nicht gar eine Dame von Stand.«
Eleonora starrte ihn entgeistert an.
»Das war heute das erste und letzte Mal, dass ich Sie diesbezüglich angesprochen habe, Christine«, schloss er das heikle Thema ab und schenkte ihr sein reines Kinderlächeln.
Auch in diese Stellung fand sich Eleonora schnell ein. Karl Friedrich Hedebrink hatte trotz seiner Behinderung Jura studiert und besaß eine kleine Anwaltskanzlei. Von Haus aus recht wohlhabend, war er nicht gezwungen, damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen, sondern betrieb die Juristerei mehr oder minder aus Liebhaberei, befasste sich ausschließlich mit Fällen, die ihn fachlich interessierten, die für ihn eine juristische Herausforderung darstellten. Daher setzte sich seine Mandantschaft aus einem bunten Gemisch zusammen. Von einem armen Dienstmädchen, das ungerechterweise von seiner Herrschaft des Diebstahls bezichtigt wurde, verlangte er gar kein Honorar, während er wiederum einen wohlhabenden Tuchhändler, der seine Elle manipuliert haben sollte, gnadenlos schröpfte. Nach Nachweis dieser
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